nahe liegend oder naheliegend?

19. Juli 2011

Viele Verlage, darunter auch das Haus NZZ, haben sich geweigert, den Unsinn der Rechtschreibreform mitzumachen. Am NZZ-Vademecum, das 1971 erstmals erschien, orientiert sich auch die Schweizer Orthographische Konferenz (SOK), die seit 2006 für eine vernünftige Rechtschreibung kämpft. Sowohl der Verband Schweizer Presse als auch die Konferenz der Chefredaktoren empfehlen die Umsetzung der SOK-Regeln. Das Folio folgt grundsätzlich dem NZZ-Vademecum, behält sich aber einzelne Abweichungen vor (zum Beispiel Toscana statt Toskana).

Der am schwersten wiegende Fehler des Reformwerks war zweifellos, dass das Rad der Sprachentwicklung um mehr als hundert Jahre zurückgedreht wurde. Zum Beispiel bei der Gross- und Kleinschreibung: Hier bestand seit langem die Tendenz, Wörter, deren substantivische Bedeutung verblasst war, klein zu schreiben: zum Beispiel heute abend, ohne weiteres usw. Die Reformer haben durch die vermehrte Grossschreibung diese Entwicklung in ihr Gegenteil verkehrt. Wir bleiben in den meisten Fällen bei der Kleinschreibung.

Auch bei der Zusammen- und Getrenntschreibung wurden durch rigorose Auftrennung viele Wörter in ihrer Bedeutung entstellt. Wir schreiben weiterhin zusammen: fertigstellen, bekanntgeben, kennenlernen, schiefgehen, unheilbringend, aufsehenerregend, sogenannt, hierzulande, alleinstehend.

Durch diese Dezimierung des Wortschatzes wurden viele Bedeutungsunterschiede eingeebnet, die durch die unterschiedliche Schreibweise dargestellt werden konnten. Wir halten an den Unterschieden fest: frisch gebackenes Brot – frischgebackene Eheleute; wohl bekannt (wahrscheinlich bekannt) – wohlbekannt (sehr bekannt); ein nahe liegendes Restaurant – ein naheliegender Gedanke.

Was die Schreibung der Laute und Buchstaben betrifft, wurden meist nur einzelne Wörter oder Wortgruppen herausgepickt und einer neuen Schreibweise unterzogen, während ähnliche in der alten Schreibweise belassen wurden – ein weiterer Fehler der Reform. Wie soll man beispielsweise einem Mittelschüler erklären, dass er neu Potenzial und substanziell schreiben darf, aber nur Initial und exponentiell? Wir halten uns hier an die vor 1996 geltenden Schreibweisen, schreiben also Tip, As, Tolpatsch, Zierat, fritieren, numerieren, rauh, Roheit.

Urs Remund, Korrektor

(erschienen im Sprachkreis Deutsch)

Autoren verlangen Respekt für die Gestalt ihrer Texte

20. August 2009

Der Verband AdS, Autorinnen und Autoren der Schweiz, verlangt, dass die von ihnen gewählte Gestalt eines Textes respektiert wird. Zur Gestalt gehöre ausdrücklich auch die Rechtschreibung. Der Verband ersucht die Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Nationalrates in einer Eingabe vom 20. August 2009, „dafür zu sorgen, dass das amtliche Regelwerk endlich unabhängig von Politik, Ideologie und wirtschaftlichen Interessen korrigiert wird und dass die neue Rechtschreibung in der dafür nötigen Zeit in Schule und Verwaltung ausgesetzt wird. Für einen gangbaren Weg halten wir die Empfehlungen der Schweizer Orthographischen Konferenz (SOK).“

Die Eingabe ist vom Präsidenten des AdS, Francesco Micieli, und der Geschäftsführerin, Nicole Pfister Fetz, unterschrieben. Erstunterzeichner sind die Autoren Jürg Amann, Urs Faes, Thomas Hürlimann, Charles Linsmayer, Klaus Merz, Pirmin Meier, Adolf Muschg, Suzann-Viola Renninger, Peter von Matt, Gisela Widmer, Urs Widmer und Peter Zeindler.

Beispielhaft ist die Vereinbarung zwischen der Interessengemeinschaft österreichischer Autorinnen und Autoren und den österreichischen Schulbuchverlagen, die am 1. Januar 2010 in Kraft treten soll. Danach haben die Schulbuchverlage das Recht, Ausschnitte aus Werken zu publizieren, dürfen die Texte dabei aber nicht bearbeiten und entstellen. „Auch Rechtschreibanpassungen (inklusive Interpunktion) bedürfen der Einwilligung der Urheber.“ Die Vereinbarung hat auch die Unterstützung des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur. Zur Präambel der Vereinbarung.

Schweizer Schülerduden laut SOK „unbrauchbar“

Die Schweizer Orthographische Konferenz (SOK) hat an ihrer sechsten Tagung vom 20. Mai in Zürich den Schweizer Schülerduden als „unbrauchbar“ bezeichnet. Das für Schulen verbindliche Referenzwerk unterschlage zahlreiche auch nach neuer Rechtschreibung gültige herkömmliche Varianten. Werde nach ihm korrigiert, würden den Schülern richtige Schreibweisen als Fehler angestrichen, was ein Skandal sei. Die SOK fordert deshalb, den von den beiden Schweizer Reformern Peter Gallmann und Thomas Lindauer herausgegebenen Schülerduden zurückzuziehen.

Der Schülerduden konterkariere die Bestrebungen des Rates für deutsche Rechtschreibung noch dreister als der Duden, so die SOK weiter. Dieser gibt bei Variantenschreibungen eine Empfehlung für eine bestimmte Schreibweise ab. Besonders bei der umstrittenen Getrennt-/Zusammenschreibung wird dabei häufig die reformierte Getrenntschreibung empfohlen. Der Rat hat diese Einschränkung, die seinen Intentionen zuwiderlaufe, scharf kritisiert.

Mitveranstalter der unter dem Titel „Sprachsicherheit“ stehenden Tagung war der neugegründete Verein Medienkritik Schweiz. Erstmals wirkte auch der Verband Autorinnen und Autoren der Schweiz AdS mit. Der AdS weist in einer Eingabe an die nationalrätliche Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur auf die Unhaltbarkeit der gegenwärtigen Lage hin und unterstützt den Weg der SOK. Erstunterzeichner sind Jürg Amann, Urs Faes, Thomas Hürlimann, Charles Linsmayer, Pirmin Meier, Klaus Merz, Adolf Muschg, Suzann-Viola Renninger, Peter von Matt, Gisela Widmer, Urs Widmer, Peter Zeindler.

In einem von Nationalrat Filippo Leutenegger moderierten Podium zeigte sich, dass man nach wie vor von einer einheitlichen und sprachrichtigen Rechtschreibung weit entfernt ist. Es diskutierten: Nicole Pfister Fetz (AdS), Gottlieb F. Höpli (Verein Medienkritik Schweiz), Dr. Ludwig Laher (IG Österreichische Autorinnen und Autoren, Rat für deutsche Rechtschreibung), sowie Prof. Dr. Rudolf Wachter (Universitäten Basel und Lausanne, SOK).

Ludwig Laher berichtete, dass die Autorinnen und Autoren Österreichs in einem Vertrag mit den Schulverlegern erreicht haben, dass ihre Texte in Schulbüchern nicht ohne ihre Zustimmung an neue Normen angepasst werden dürfen. In den Schulbüchern Österreichs werden damit wieder literarische Texte in herkömmlicher Rechtschreibung erscheinen. Dies wertet auch die SOK als wichtigen Erfolg im Kampf gegen amtlich verordnete Eingriffe in Sprache, Schrift und Gestalt eines Textes.

In der SOK sind Vertreter der Presse, der Literatur und der Sprachwissenschaft vereinigt. Sie haben sich zum Ziel gesetzt, die Sprachrichtigkeit und Einheitlichkeit der Rechtschreibung in Presse und Literatur zu fördern. Ihre wichtigste Empfehlung, „Bei Varianten die herkömmliche“, wird in der Schweizer Presse weitgehend umgesetzt. Auch weitere Empfehlungen der SOK werden befolgt, und sie wirken zunehmend auch in Deutschland.

Zürich, 20. Mai 2010

Rechtschreibkurs der SOK am MAZ

Die SOK führt am 20. August 2009 einen Einzelkurs am Medienausbildungszentrum (MAZ) in Luzern durch. Die von der SOK empfohlenen Regeln und Schreibweisen werden erläutert und geübt.

Referenten:

Stefan Stirnemann, Gymnasiallehrer
Stephan Dové, Chefkorrektor NZZ und Mitglied im Rat für deutsche Rechtschreibung
Prof. Dr. Dr. Wachter, Universitäten Basel und Lausanne