8. Juni 2009
Nachdem ich im Zusammenhang mit dem Rechtschreibemoratorium (if it is not broken, don’t fix it!) auf Ihre Website gestossen bin, habe ich eine Frage oder einen Vorschlag. Je nachdem.
Vorerst möchte ich Ihnen sagen, dass ich fliessend französisch und englisch spreche. 14 Jahre in Genf und über 10 Jahre im „englischsprachigen Business“ im Ausland tätig. Ich verstehe gesprochenes und geschriebenes Italienisch zu 70–80%, habe aber keine Sprechpraxis. Aufgewachsen in Zürich. Dann hatte ich Gelegenheit, insgesamt 6 Jahre in Moskau zu verbringen und Russisch zu lernen. Ich kann es zwar immer noch nicht, aber hinter den kyrillischen Buchstaben steckt ein grosser Haufen an deutschen und französischen Wörtern, die im Lauf der Geschichte den Weg nach Russland gefunden hatten. Nicht nur Wörter, auch Denkmuster. Nur machen die fremden Schriftzeichen den Zusammenhang für uns unsichtbar.
Was ich sagen möchte, ist das folgende: Jemand, der nicht mit mindestens 2 nachbarlichen Fremdsprachen sehr gut vertraut ist, ist nicht qualifiziert, die eigene Sprache zu reformieren. Denn es gibt Zusammenhänge zu berücksichtigen, die ausserhalb der zu reformierenden Sprache liegen.
Nun zu meinem Vorschlag betreffend Fremdwörter. Die Geschichte mit Maiones, Schpageti etc. Ein Fremdwort hat immer einen Ursprung in einer Sprache. Dort passt es auch phonetisch hinein. Fondue, Bolognese oder Paella – man sieht die Herkunft. Das ist nicht türkisch!
Entweder man kreiert ein äquivalentes Wort für eine Sache in der eigenen Sprache – wie „Kraftbrühe“ für „Sauce“ oder „Schmelzbrei“ für „Fondue“ – und dann ist das Problem gelöst. Wenn man das nicht kann, dann gilt die Schreibweise des Herkunftslandes des Wortes als Rechtschreibereferenz. Ohne die Wörter zu korrumpieren. Das gibt eine einfache Regel, die Sprache wird nicht „verhunzt“.
Gibt es solche Ansätze für die Fremdwortproblematik? Was halten Sie davon?
M. O.
Sehr geehrter Herr O.,
wir sind mit Ihnen weitgehend einverstanden. Ganz so einfach, wie Sie vorschlagen (äquivalentes Wort benutzen oder fremde Schreibweise), ist es allerdings nicht – wie so oft in der Orthographie! Es gibt Fremdwörter, die längst vollkommen eingedeutscht sind, ohne dass dagegen noch etwas einzuwenden wäre: Ballett statt Ballet, Büro statt Bureau, Affäre statt Affaire; Bluse, Dusche, Fabrik, Frisur, Garderobe, Karosse, Kompliment, Konfitüre, Minister; Bankrott, Fresko, Konzert, Menuett.
In der Schweiz verfahren wir bei der Eindeutschung von Fremdwörtern traditionell viel zurückhaltender als Deutschland und Österreich, etwas was mit „Rücksicht auf unsere anderen Landessprachen“ umschrieben werden könnte (Prof. Rudolf Wachter).
Das führt nach Empfehlung der SOK gelegentlich auch zu Abweichungen vom amtlichen Wörterverzeichnis wie neuerdings bei Communiqué, das unverständlicherweise ausgeschieden ist, während neu Kommunikee als Variante zu Kommuniqué aufgenommen wurde, oder bei Tea-Room (es gibt nur noch Tearoom). Gleich erging es den fremd geschriebenen Caramel, Couvert, Friteuse, Friture und Stukkatur: sie schieden aus; wo waren hier eigentlich die Schweizer Vertreter in den entsprechenden Gremien? Bei Apéritif, Bohème, Bohémien, Cognac, Crème, Début, Déjeuner, Eclat, Entrée, Nécessaire, Ouverture, Pédicure, Protégé, Résumé; Bay, Vademecum bestand die Abweichung schon in der herkömmlichen Rechtschreibung. Abweichungen bei nicht im amtlichen, sondern nur im Duden verzeichneten Fremdwörtern sind Cédille, Championnat, Décharge, Directrice, Ecarté, Ecossaise, Enquête, Entrecôte, Etagère, Flambé.
Wo Varianten bestehen, empfiehlt die SOK grundsätzlich die nicht eingedeutschte: Buffet, Décolleté, Dépendance, Menu, Meringue, Mohair, Mousseline, Occasion, Portemonnaie, Praliné, Quai, Spaghetti, Tricot (Stoff), Variété. Ausnahmen sind allgemein gebräuchliche eingedeutschte Schreibweisen wie Frottee, Jacht, Kampagne, Koffein, Kompanie, Mokka, Zirkus und – trotz fremder Aussprache! – Korps.
Mischformen wie Creme, Kapriccio, Kommuniqué, Ekossaise, Direktrice, Protegé sind, auch aus didaktischen Gründen, zu vermeiden.
Die SOK empfiehlt, nach der Faustregel „Bei fremder Aussprache fremde Schreibweise“ zu verfahren: das führt u. a. zu den bereits erwähnten Schreibweisen Couvert, Eclat, Flambé.
Die Bezeichnung „Faustregel“ ist geboten, weil die Regel nicht in allen Fällen anwendbar ist:
a) Ausnahmsweise fremd ausgesprochen und trotzdem eingedeutscht geschrieben werden beispielsweise: Bankier (in Deutschland gemischt ausgesprochen, vorne deutsch, hinten fremd!), Biskuit (in Deutschland deutsch ausgesprochen), ausserdem die auch in Deutschland fremd ausgesprochenen Gelee, Interieur, Korps, Ragout, Reduit, Regime, Soiree, Visavis.
b) Die Regel hilft nicht, wenn die fremde Aussprache mit der deutschen identisch oder beinahe identisch ist, z. B.: Büro, Frottee, Klischee.
Die Faustregel berücksichtigt immerhin die im Gegensatz zu Deutschland in der Schweiz in vielen Fällen noch übliche fremde Aussprache: Quai, Buffet, Caramel usw.
Zu beachten ist allerdings, dass es auch die umgekehrte Erscheinung gibt: fremde Aussprache in Deutschland, deutsche (oder schwankende) Aussprache in der Schweiz: Kantonnement, Reglement, Karton, Parfum (sogar bei eindeutschender Schreibweise Parfüm); im Falle von Usance/Usanz ist sogar auch die Schreibweise unterschiedlich: fremd in Deutschland, deutsch in der Schweiz.
Peter Müller, SOK