Unterschiedliche Regelwerke?

12. Oktober 2009

In Zukunft werden wir die Rechtschreibeprogramme von Brockhaus Duden einsetzen.

Gemäss Brockhaus Duden entspricht die Rechtschreibung demjenigen Regelwerk der Eidgenössischen Konferenz der Kantonalen Erziehungsdirektoren, das nicht denjenigem der Schweizerischen Orthographischen Konferenz (SOK) entspricht.

Nachfolgend der genaue Wortlaut des Supports von Brockhaus Duden:

Die Wörterbücher der Duden Proof Factory basieren auf dem
Rechtschreibduden und den weiteren Dudenwerken. Diese setzen das amtliche
Regelwerk zur deutschen Rechtschreibung nach seinem aktuellen Stand 2006
um. Damit entsprechen sie demjenigen Regelwerk, das die Eidgenössische
Konferenz der Kantonalen Erziehungsdirektoren für den Unterricht an den
Schulen in der Schweiz eingeführt hat.

Die Regelungsvorschläge der Schweizerischen Orthographischen Konferenz
(SOK) entsprechen nicht diesen amtlichen Vorgaben und sind daher auch
nicht maßgeblich für die Rechtschreibprüfung und Worttrennung in der Duden
Proof Factory und in den gedruckten Duden-Werken. Maßgeblich ist
stattdessen die Eidgenössische Konferenz der Kantonalen
Erziehungsdirektoren für den Unterricht an den Schulen in der Schweiz.

Stimmen diese beiden Regelwerke tatsächlich nicht überein? Wenn ja warum weichen diese Regelwerke voneinander ab und gibt es eine Bestrebung, dass diese beiden Regelwerke in Zukunft übereinstimmen oder wird es weiterhin zwei verschiedene Regelwerke geben?

Gerne erwarte ich eine Antwort von Ihnen.

R. G.

 

Sehr geehrter Herr G.,

vielen Dank für Ihre Anfrage. Brockhaus Duden will Korrekturprogramme verkaufen; der Wortlaut aus dem Support, den Sie zitieren, ist ein Werbespruch. Die Sachlage ist nicht so einfach.

2006 legte der Rat für deutsche Rechtschreibung ein Regelwerk vor, das die Reform von 1996/2004 in vielen Punkten zurücknahm. Ein Beispiel: „es tut mir leid“ ist nun wieder klein, 1996 war es gross („es tut mir Leid“), 2004 war gross und klein richtig. Kennzeichen dieses Regelwerks 06 und Zeichen davon, dass es sich um einen schlechten Kompromiss handelt, sind die zahllosen Varianten: „wohlbekannt“ soll ohne Bedeutungsunterschied als „wohl bekannt“ geschrieben werden können, „Handvoll“ als „Hand voll“, „du hast recht“ als „du hast Recht“ usf.

Die grossen Wörterbücher Duden und Wahrig wählen aus diesen zahllosen Varianten jeweils eine, die sie empfehlen (Duden: gelb unterlegt, Wahrig in einem besonderen Werk: „Ein Wort, eine Schreibung“). In diesen Empfehlungen sind Duden und Wahrig nicht einig. Die Presseagenturen und die grossen Zeitungen treffen wiederum eine eigene Auswahl aus den Möglichkeiten der neuen Rechtschreibung. Dazu kommen grosse Zeitungen, die sich in einigen Punkten überhaupt nicht an die neue Rechtschreibung halten, und die literarischen Verlage, welche die neuen Regeln ganz ignorieren. Es gibt also heute nicht nur, wie Sie schreiben, zwei verschiedene Regelwerke, sondern zahlreiche Hausorthographien.

Wie ist die Lage in der Schweiz? Für die Schweizer Schule ist der neue Schweizer Schülerduden massgeblich. Seine Autoren treffen ihrerseits eine Auswahl aus dem Regelwerk 06. Sie unterschlagen viele Varianten und halten sich in einigen Fällen sogar an die Regeln von 1996/2004, die nicht mehr gelten. Das führt dazu, dass an Schweizer Schulen eine Schreibweise wie „seit langem“ als falsch gilt, obwohl sie gemäss Regelwerk 06 richtig ist; in der Schweizer Schule soll nur „seit Langem“ geschrieben werden. Für Einzelheiten verweisen wir auf zwei Weltwoche-Artikel, zugänglich auf (www.sok.ch) (Rechtschreibung bleibt Glückssache, Ein Duden für jederfrau).

Die Schweizer Schule hat also, sofern sie sich an den Schweizer Schülerduden hält, eine in vielen Punkten andere Rechtschreibung als die Presse. Und von der Rechtschreibung vieler literarischer Bücher, die an unseren Schulen nach wie vor studiert werden, weicht sie noch krasser ab. Für Einzelheiten verweisen wir auf einen NZZ-Artikel: Die Schule hat ein Recht auf eine klare Sprache.

Die Autorinnen und Autoren der Schweiz haben kürzlich in einer Eingabe an den Nationalrat auf diesen Missstand hingewiesen (Link). In ähnlichem Sinne hat sich der Verband der Schweizer Fachjournalisten geäussert. (Link)

Welche Haltung nimmt die SOK ein? Im Mittelpunkt ihrer Empfehlungen steht der Grundsatz: „Bei Varianten die herkömmliche“. Mit ihm bewegt sich die SOK im Rahmen der neuen Rechtschreibung, trifft aber eine begründete und sprachlich richtige Wahl unter den vielen Varianten. So ist für die SOK „wohlbekannt“ (= gut bekannt) keineswegs dasselbe wie „wohl (= vermutlich) bekannt“. In wenigen Bereichen folgt die SOK der neuen Rechtschreibung nicht.

Das sind aber die Bereiche, die der Rat für Rechtschreibung zweifellos noch überarbeiten wird.
Zukunft hat nicht die Rechtschreibung des Schweizer Schülerdudens, Zukunft haben die Empfehlungen der SOK.

Sie werden deshalb unterstützt von der Konferenz der Chefredaktoren und vom Vorstand des VSP.
Die Empfehlungen sind auch Standard am MAZ, der Schweizer Schule für Journalismus.

Es würde uns freuen, wenn auch Sie diese Empfehlungen prüfen würden. Wir sind zu Auskünften und Hilfestellungen sehr gerne bereit.

Stefan Stirnmann, SOK / Peter Müller, SOK