Es bleibt dabei: das letzte Wort hat die Sprache

Der höchste Politiker des Kantons Bern, Grossratspräsident Dr. Christoph Stalder (FDP), eröffnete die Herbsttagung der SOK vom 31. Oktober 2007 mit grundsätzlichen politischen Überlegungen. Wir übernehmen den Text mit herzlichem Dank von den Schweizer Monatsheften.

Einleitung der Herausgeberin, Suzann-Viola Renninger

1996 löste die Rechtschreibreform heftige Kontroversen aus. In den folgenden 10 Jahren wurde die Reform mit immer weiteren Reformen reformiert – sie machten alles immer schlimmer: Uneinheitlichkeit und Unzufriedenheit wuchsen, die Orientierungslosigkeit nahm zu. Zuletzt blieb der Rat für Rechtschreibung im Versuch, die ärgsten Fehler der Reform zu tilgen, auf halbem Weg stecken; zurück blieb ein Dschungel von Varianten.

Im Sommer 2006 gründeten daher Sprachwissenschafter sowie Vertreter aus dem Verlags­wesen und der Presse in Zürich die Schweizer Orthographische Konferenz (SOK) mit dem Ziel, „in der Presse und Literatur eine einheitliche und sprachrichtige Rechtschreibung zu fördern“.

„Bei Varianten die herkömmliche“ – diese erste Empfehlung verabschiedete die SOK am 1. Juni 2006, um die Varianten der Reform und des Rates einzudämmen. Es soll nun wieder ausschliesslich aufwendig und nicht auch aufwändig gelten, man soll recht und nicht auch Recht haben, die Schillersche Ballade und nicht die Schiller’sche lesen können und dabei aufs äusserste und nicht länger wahlweise aufs Äusserste gespannt sein.

Die SOK empfiehlt ausserdem die herkömmlichen Kommaregeln und die morphologischen Worttrennungen am Zeilenende: Chir-urg und nicht Chi-rurg.

Diese Ausrichtung nach den über Jahrhunderte gewachsenen und bewährten Schreibgewohn­heiten, dieser Abbau des von oben verordneten, weder durch Sprachrichtigkeit noch Einheit­lichkeit ausgezeichneten Regelwerks war konsequent, hatte doch der Rat für deutsche Recht­schreibung, manche Fehler der Reformer einsehend, selbst Schritt für Schritt die Reform von 1996 rückgängig gemacht.

Viel versprechend trat die Rechtschreibreform an, gab sich, als sei alles wohldurchdacht. Doch vielversprechend war sie für die meisten nicht, dass sie wohl durchdacht sei, war nur mit viel Entgegenkommen zu vermuten. Vielversprechend / viel versprechend wie auch wohldurch­dacht / wohl durchdacht sind keine Varianten, da hier die unterschiedlichen Schreibweisen einen Bedeutungsunterschied ausdrücken. Die Rechtschreibreform hatte 1996 diese Unter­schiede zunichte gemacht, indem sie vielversprechend und wohldurchdacht für falsch und allein die Getrenntschreibung für orthographisch korrekt erklärte (ab 2000 liess sie die Zusammenschreibung wieder zu, aber lediglich als gleichbedeutende Variante). Die SOK hingegen empfiehlt, wieder je nach Bedeutung beide Schreibweisen zu verwenden und so die Vielfalt der Bedeutungsnuancen nicht einer falschverstandenen Vereinfachung zu opfern [Abschnitt nachträglich leicht ergänzt].

Viele weitere Widersprüche, Inkonsistenzen und sprachhistorisch falsche Herleitungen veranlassten die SOK, für alle kritischen Fälle Wortlisten zu erstellen; diese betreffen unter anderem Fremdwörter, englische Fügungen, geographische Ableitungen, die Gross- und Kleinschreibung oder die Frage, was passiert, wenn drei Konsonanten aufeinandertreffen (Der vollleibige Balletttänzer geniesst, sich volllaufend lassend, die Flussschifffahrt). Ihre abschliessenden Empfehlungen legte die SOK auf ihrer diesjährigen Herbsttagung in Zürich vor, auf der sie eine Resolution verabschiedete, die die Zeitungen der Deutschschweiz einlädt, die „Empfehlungen im Sinne einer sprachrichtigen und einheitlichen Rechtschreibung zu übernehmen“. Eine Einladung, der die „Schweizer Monatshefte“ gerne folgen. (Die Resolution und die Wortlisten sind unter www.sok.ch/ zu finden.)

Im folgenden drucken wir, leicht gekürzt, die Rede von Christoph Stalder, mit der er die Herbsttagung der SOK eröffnet hat.

Christoph Stalder: Es bleibt dabei: das letzte Wort hat die Sprache

Ich bin nicht Dichter, ich bin nicht Linguist, ich bin von Haus aus Jurist, aber ich liebe unsere Sprache. Eine Sprache entsteht, wird verwendet, wandelt sich, verschwindet vielleicht eines Tages (wie das gesprochene Latein, wie vielleicht das Romantsch). Sie wird unterem anderem beeinflusst und geformt durch Dichter und Denker, durch den Gebrauch an sich, durch Modeströmungen, durch Einflüsse von aussen und insbesondere durch die moderne Internatio­nalisierung.

Die Sprache ist etwas Vorstaatliches, etwas Überstaatliches, etwas Ausserstaatliches; sie ist aber Voraussetzung für staatliches wie für individuelles Handeln und soziales Zusammenleben. Sie kümmert sich nicht um Grenzsteine, sie hat aber in der Geschichte Grenzziehungen beeinflusst. Die Freiheit, die Unabhängigkeit von staatlichen, amtlichen Zwängen macht einen Teil ihres Reichtums aus und ermöglicht es ihr, sich zu entwickeln, zu formen, zu verändern. Selbstverständlich darf der Staat Regeln über den Gebrauch der Sprache in der Verwaltung festlegen; aber weiter geht seine Kompetenz nicht.

Doch plötzlich, vor knapp 30 Jahren, hat sich die Staatsmacht der Sprache in umfassender Weise bemächtigt, in guter Absicht zunächst – der Absicht nämlich, ein volksdemokratisches Sonderdeutsch zu verhindern, mit dem die damalige DDR drohte. Der guten Absicht folgte alsbald die böse, die gleichmacherische, die geradezu sektiererische Tat, die sich nicht um gewachsene Formen, nicht um Sprach- und Sinnverständnis kümmerte, sondern daran ging, das vermeintlich weit offene Feld der deutschen Sprache rigoros umzupflügen.

Das ginge ja noch. Wenn sich eine eifrige, eine eifernde Kommission ans Werk macht, um etwas Neues zu schaffen, dann ist das grundsätzlich löblich. Wenn sie aber in ihrem heiligen Eifer Neuerungen vorschlägt, die zu Unklarheiten, zu Unsicherheiten, zu Sinnveränderungen und zu Sprachverarmungen führen, dann muss man sich fragen, ob hier wirklich hochkarätige Spezialisten am Werk waren. Und wenn dann staatliche Gremien solchen Vorschlägen – ob geprüft und unverstanden oder ob ungeprüft – das amtliche Gütesiegel verleihen, dann ist das Unglück geschehen.

Denn: was der Staat einmal mit seinen Klauen gepackt hat, das lässt er nicht mehr los. Ein politischer Auftrag muss zu einer politischen Lösung, muss zu politischer Genehmigung führen, und am politischen Ergebnis muss aus Gründen der Staatsräson festgehalten werden, selbst wenn Mängel, Fehler, Unzulänglichkeiten, unzulässige Vereinfachungen offensichtlich geworden sind. Wer die staatlich abgesegnete und per amtlichen Erlass eingeführte Arbeit kritisiert und ablehnt, ist a priori verdächtig und tendenziell systemschädigend. Wer darauf hinweist, dass die Arbeit einer Kommission – oder eines Arbeitskreises, wie dieses Gremium hiess – nicht von Mitgliedern dieses gleichen Gremiums überprüft werden sollte, ist lästig und gehört ignoriert.

Und wenn Verlage, Zeitungen, bestandene wie junge Autoren, Dichterinnen, Theater­schaffende die Reformen nicht mittragen, dann wird dies mit einem Achselzucken zur Kenntnis genommen, im Vertrauen darauf, dass jenen der Widerstandsschnauf ohnehin bald ausgehen werde.

Warum die bloss gedämpften, als elitär und deshalb unbeachtlich abqualifizierten Reaktionen auf diese himmelschreiende, greuliche (mit „eu“ bitte) staatliche Entgleisung, diesen Eingriff in über- und ausserstaatliches Kulturgut? Warum kein lauter, vielstimmiger Aufschrei der Entrüstung?

Die Gründe sind vielfältig. Zum einen ist Sprachkompetenz heute weder weitverbreitet noch gefragt. Der zuständige Vertreter der Berner Erziehungsdirektion hat mir gesagt, vordringlich sei, dass die Schülerinnen und Schüler überhaupt noch lesen und schreiben lernten. Zum zweiten stelle ich einen Widerstand in der Lehrerschaft fest, die sich nach 1996 mit der Rechtschreibreform zu befassen begann, sie anwandte und nun nicht bereit ist, nochmals über die Bücher zu gehen. Schliesslich: die Feinheiten der Sprache interessieren im Zeitalter von SMS und „20 Minuten“ nicht. Sprachverluderung zeigt sich am Sorgenbarometer nicht als brennendes Problem.

Was ist zu tun? Die SOK muss ihre Aufklärungsarbeit unbeirrt fortsetzen. Die Dichter, Denker, Redaktoren, übrigen Medienschaffenden und alle, die mit der Sprache ein enges Verhältnis pflegen, sollen bitte weiter so schreiben, wie sie es für vernünftig erachten und wie es verständlich ist.

Das Thema Sprache wäre es wert, Geheimpläne, Umsturzgedanken und Verschwörungs­theorien zu wälzen. Aber in der politischen Wirklichkeit verwendet man diesbezügliche Energien für andere Themen.

Tröstlich bleibt und hoffen lässt, wie Stefan Stirnemann kürzlich in den Schweizer Monatsheften titelte: „Das letzte Wort hat die Sprache.“

Christoph Stalder arbeitet als Leiter Public Affairs bei der Schweizerischen Mobiliar-Versicherung. Er vertritt seit 2002 die FDP im Berner Kantonsparlament.

Nr. 12/01, 2007/2008 Schweizer Monatshefte, Seiten 52 und 53

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