wohlverdient und wohlvertraut

8. Juni 2009

Der „Leitfaden zur deutschen Rechtschreibung“ der Bundeskanzlei weist auf einen Unterschied zwischen wohlverdient und wohl verdient hin: der wohlverdiente Ruhestand, aber: Er hat die Strafe wohl (= vermutlich) verdient. Das Postulat Riklin seinerseits sieht einen Unterschied zwischen wohlvertraut und wohl vertraut. Nun führen aber sowohl der „alte“ wie der neue Duden wohlverdient und wohlvertraut nur zusammengeschrieben auf. Was hält die SOK davon?

E. K.

 

Sehr geehrte Frau K.,

die SOK empfiehlt, die unterschiedliche Bedeutung auch bei wohlverdient / wohl verdient und wohlvertraut / wohl vertraut zu beachten: Der Nobelpreis für Grass war wohlverdient (= sehr verdient) / wohl verdient (= eigentlich/vermutlich verdient). Der Dieb war mit der Umgebung wohlvertraut (= gut vertraut) / wohl vertraut (= vermutlich/wahrscheinlich vertraut). Die unterschiedliche Bedeutung drückt sich beim Sprechen ja auch in der Betonung aus.

Der Leitfaden der Bundeskanzlei weist also völlig zu Recht auf diesen Bedeutungsunterschied und die damit verbundene unterschiedliche Schreibweise hin; er tut es im Wörterverzeichnis auch bei wohltun / wohl tun. Seltsamerweise werden dort aber wohlbehütet / wohl behütet, wohlüberlegt / wohl überlegt, wohlschmeckend / wohl schmeckend als austauschbare Varianten ohne Bedeutungsunterschied bezeichnet, und wohlerworben, wohlbehalten, wohltuend gibt es nur zusammengeschrieben.

Die einzige vernünftige und einfachste Regelung für Zusammensetzungen mit wohl ist, den Bedeutungsunterschied zu beachten. Man kann einzig darauf hinweisen, dass es nur die zusammengeschriebene Form gibt (wohl = gut/sehr), wenn das Hinterglied als selbständiges Wort gar nicht vorkommt (wohltuend).

Eine getrennt geschriebene Variante von beispielsweise wohl behalten lässt sich nach dem Muster von wohl tun nämlich ohne weiteres konstruieren: er wird das Geschenk wohl behalten (= vermutlich behalten). Ebenso bei wohlerworben / wohl erworben. Anderseits ist es ohnehin unsinnig, eine getrennt geschriebene Variante von wohl schmeckend aufzuführen, weil sie in der Sprache in dieser Bedeutung nicht vorkommt.

Sie haben recht: Duden führt sowohl heute als auch schon 1991 nur zusammengeschriebenes wohlverdient und wohlvertraut auf. Der neue Duden hat die Wörter offenbar einfach aus dem alten Textbestand übernommen; solches ist ja auch in anderen Fällen zu beobachten. Zu erwarten wäre gewesen, dass er bei den beiden Fällen den gleichen Fehler macht wie bei anderen Zusammensetzungen mit wohl, etwa wohldurchdacht / wohl durchdacht: zusammen- und getrennt geschrieben als austauschbare Varianten ohne Bedeutungsunterschied.

Besseres ist man hingegen vom „alten“ Duden gewohnt. Dort wäre zu erwarten gewesen, dass in beiden Fällen beide Varianten verzeichnet gewesen und auf den Bedeutungsunterschied hingewiesen worden wäre.

Zur Verteidigung des „alten“ Dudens kann man anführen, dass eine getrennt geschriebene Variante, wenn sie überhaupt gebildet werden kann, ohnehin immer zulässig ist, denn Duden kann selbstverständlich nicht alle Fügungen aufführen, die getrennt geschrieben werden; die getrennt geschriebenen Fügungen gebe es also, obwohl sie nicht aufgeführt seien. Weil ein Bedeutungsunterschied damit verbunden ist, wäre es aber zweifellos angezeigt gewesen, auf sie hinzuweisen. (Im amtlichen Wörterverzeichnis sind die Wörter übrigens nicht aufgeführt.)

Eine entsprechende Diskussion hat das im „alten“ Duden nur zusammengeschrieben aufgeführte radfahren heraufbeschworen. Rad fahren war grammatisch natürlich genauso unanfechtbar wie Auto fahren (das aufgeführt war und ist) oder Dreirad fahren (das niemals aufgeführt war). Nehmen wir an, mit dem Eintrag radfahren habe der herkömmliche Duden lediglich zeigen wollen, dass in diesem Fall die Zusammenschreibung bereits üblich war, ohne die getrennt geschriebene Form deswegen auszuschliessen. Es gibt gute Gründe dafür, dass radfahren stärker zur Zusammenschreibung neigt als Auto fahren oder Dreirad fahren. Um Missverständnisse zu vermeiden, hätte der herkömmliche Duden natürlich auch Rad fahren aufführen sollen.

Allerdings ist wohl eher anzunehmen, dass Duden im Sinne einer Doppelschreibungen ausmerzenden Hausorthographie die Variante Rad fahren vermeiden wollte. Duden sah sich seit dem Buchdruckerduden ja in der Tat als so etwas wie eine allgemeine Hausorthographie – das wichtigste Argument der Reformer, dass eine Reform notwendig sei. Aber selbst dann könnte die ausgeschiedene Form Rad fahren niemals als falsch bezeichnet werden. Die Hausorthographie der SOK empfiehlt beispielsweise die Schreibweise Fotograf, was auf keinen Fall heisst, Photograph sei in den Augen der SOK falsch.

Peter Müller, SOK