10. September 2011
Einige der von Ihnen genannten falschen Herleitungen habe ich überprüfen können (Quentchen ‒ Quent, belemmert ‒ belemmern, Zierat ‒ Zierot, Tolpatsch ‒ Talbache u. ä. (die alten Ungarn), wobei das Wort in den Wörterbüchern (Grimm, Adelung) bisweilen alternativ auch „Tollpatsch“ geschrieben wird.
Für diese Wörter kenne ich die Herleitung nicht:
- plazieren (Plazet?)
- numerieren
- Platitüde
- greulich ‒ kommt Greuel/Gräuel nicht von Grauen?
U. S.
Sehr geehrter Herr S.,
plazieren / numerieren:
Dazu hat Prof. Wachter hier erschöpfend Antwort gegeben.
Platitüde:
Das Wort ist direkt aus dem französischen platitude entnommen. Da eine mögliche Übersetzung „Plattheit“ ist, handelt es sich bei der Schreibweise mit zwei t um eine offensichtliche Volksetymologie.
Greuel:
Dazu schreibt Prof. Ickler auf FDS:
„Greuel geht auf mittelhochdeutsches griuwel zurück, die weitere Entwicklung entspricht den Lautgesetzen (frühneuhochdeutsche Diphthongierung). Die Schreibweise mit äu ist eine volksetymologische Änderung und war gelegentlich anzutreffen, aber die Rechtschreibreform maßt sich an, diese Schreibweise als einzige zuzulassen.“
Ergänzung durch „Germanist“:
„Die beiden unterschiedlichen ursprünglichen Wortstämme ahd. ‚grao‘, mhd. ‚gra‘ vs. mhd. ‚griu‘ bilden durch die frühneuhochdeutsche Diphthongierung noch im Duden, 14. Aufl. 1955, die Schnittmengen ‚grauen‘ 1.) grau werden, 2.) Furcht haben sowie ‚graulich‘ 1.) etwas grau, 2.) unheimlich, wobei die zweite Bedeutung aus ‚graulen‘ gebildet wurde. In späteren Dudenausgaben sind diese beiden Homonyme nicht mehr so deutlich enthalten. Die Sprachgemeinschaft hat diese Doppelbedeutungen abgestellt, indem das Vorgangsverb durch das Präfix ‚er-‘ zu ‚ergrauen‘ vom Zustandsverb ‚grauen‘ getrennt wurde und das Adjektiv ‚graulich‘ in den Farbton ‚gräulich‘ und den Zustand ‚greulich‘ getrennt wurde. Die Schnittmengen wurden zu leeren Mengen. Das war nun wirklich keine ‚Fehlentwicklung‘. Auch hier ist die ‚Reform‘ nur eine Zurückformung auf einen längst überholten Stand.“
Das wesentliche Problem der äu-Schreibung ist, dass damit auch die Ableitung greulich mit äu geschrieben werden muss und damit nicht mehr von gräulich („eine Art von grau“) unterschieden werden kann. Stefan Stirnemann hat nachgewiesen, dass damit in zahlreichen Werken der Literatur nicht mehr klar ist, was gemeint ist, z. B. in der Novelle „Fräulein Stark“ von Thomas Hürlimann:
„Der Onkel, gewandet wie ein Tropenmissionar, weiße Soutane, weißer Hut, stürmte wenig später aus dem Saal, im Gefolge Vize Storchenbein und sämtliche Hilfsbibliothekare, alle verschwitzt, gräulich verstaubt, außer Atem, offenbar waren sie stundenlang durch die hinteren und oberen Säle gekrochen.“
Ich hoffe, das beantworte Ihre Fragen.
Peter Müller, SOK