Konstruktionen mit neben

1. Mai 2014

Formulierungen wie die nachfolgenden treffe ich in meiner Arbeit als Korrektor immer häufiger an:

  • Neben den im Bericht beschriebenen Aktivitäten des HR-Managements wurde das vergangene Jahr durch die Vorbereitung dreier zentraler Entscheidungen bestimmt.
  • Neben einem Konjunkturplan mit Staatsausgaben in der Höhe von USD 115 Mia. sollen diesmal alle verfügbaren Mittel eingesetzt werden, um die japanische Wirtschaft nachhaltig anzukurbeln.

Wie begegnen Sie solchen Formulierungen?

Am unproblematischsten finde ich es, solche neben-Konstruktionen nur mit dem Bezug auf das Subjekt des Satzes zu verwenden:

  • Neben diesen Problemen traten auch andere auf.

Mit Bezug auf Objekte ohne Präposition lasse ich es auch noch durchgehen:

  • Neben diesen Problemen haben wir andere gelöst.

Auch bei Angaben ohne Präposition ginge es wahrscheinlich noch:

  • Neben letzter Woche haben wir auch vor Weihnachten Probleme gelöst.

Nie funktioniert es doch aber, wenn in der neben-Konstruktion eigentlich auch noch eine weitere Präposition vorkommen müsste:

  • Neben der Administration bin ich für die Produktauslieferung zuständig.
  • Neben dem Schüler sollte mit den Eltern geredet werden.

Als anderen Fall sehe ich diesen Satz an:

  • Neben der Arbeit treibe ich gerne Sport.

Ist der für Sie auch zulässig?

G. F.

 

Sehr geehrter Herr F.,

Sie haben recht, wenn Ausdrücke mit Präpositionalobjekten verbunden werden sollen, kann das nicht mit der Präposition neben geschehen, erforderlich ist in diesen Fällen eine Konjunktion wie ausser (am besten ergänzt mit auch):

Falsch:

*Neben den im Bericht beschriebenen Aktivitäten des HR-Managements wurde das vergangene Jahr durch die Vorbereitung dreier zentraler Entscheidungen bestimmt.

Richtig:

  • Ausser durch die im Bericht beschriebenen Aktivitäten des HR-Managements wurde das vergangene Jahr [auch] durch die Vorbereitung dreier zentraler Entscheidungen bestimmt.

Falsch:

*Neben der Administration bin ich für die Produktauslieferung zuständig.

Richtig:

  • Ausser für die Administration bin ich [auch] für die Produktauslieferung zuständig.

Falsch:

*Neben dem Schüler sollte mit den Eltern geredet werden.

Richtig:

  • Ausser mit dem Schüler sollte [auch] mit den Eltern geredet werden.

Aber selbst bei Verbindungen mit Objekten ohne Präposition oder bei einem Bezug auf das Subjekt oder auf ein Temporaladverbial ergibt die Verbindung mit neben eigentlich ein falsches Bild und ist schlechtes Deutsch. Man kann es tolerieren, weil rein grammatisch kein Fehler vorliegt, aber überall wäre die Formulierung mit ausser, abgesehen von ‒ auch oder nicht nur ‒ sondern auch o. ä. besser:

Neben einem Konjunkturplan mit Staatsausgaben in der Höhe von USD 115 Mia. sollen diesmal alle verfügbaren Mittel eingesetzt werden, um die japanische Wirtschaft nachhaltig anzukurbeln.

Besser:

  • Ausser einem Konjunkturplan mit Staatsausgaben in der Höhe von USD 115 Mia. sollen diesmal alle verfügbaren Mittel eingesetzt werden, um die japanische Wirtschaft nachhaltig anzukurbeln.

Neben diesen Problemen traten auch andere auf.

Besser:

  • Abgesehen von diesen Problemen, traten auch andere auf.

Neben diesen Problemen haben wir andere gelöst.

Besser:

  • Wir haben nicht nur diese, sondern auch andere Probleme gelöst.

Besonders schlecht:

Neben letzter Woche haben wir auch vor Weihnachten Probleme gelöst.

Besser:

  • Wir haben nicht nur letzte Woche, sondern auch vor Weihnachten Probleme gelöst.

Unproblematisch ist die Konstruktion in diesem Satz, weil hier das Bild einigermassen stimmt:

  • Neben der Arbeit treibe ich gerne Sport.

Peter Müller, SOK

Höflichkeitsanrede gross oder klein?

18. April 2014

Sehr geehrte Damen und Herren

Stimmt es, wenn man die indirekte Anrede (siehe oben) verwendet, dass im Text sie, ihnen, euch immer klein geschrieben wird?

Zum Beispiel:

Sehr geehrte Damen und Herren

Ich beziehe mich auf ihren Brief, den sie mir am 5.3.2014 zugestellt haben.

Eine junge Assistentin, die das KV vor kurzem abgeschlossen hat, hat mir das mitgeteilt. Somit habe ich jahrelang meine Briefe im Büro falsch geschrieben.

Bitte um Infos, danke bestens.

J. D’A.


Sehr geehrte Frau D’A.,

nein, Sie haben richtig geschrieben, die Höflichkeitsanrede Sie und das entsprechende Possessivpronomen Ihr werden immer gross geschrieben:

Ich beziehe mich auf Ihren Brief, den Sie mir am 5.3.2014 zugestellt haben.

Die Anredepronomen du, ihr und die entsprechenden Possessive dein, euer werden klein geschrieben. In Briefen können sie auch gross geschrieben werden.

Hier die entsprechende Stelle aus der amtlichen Regelung:

§ 65

Das Anredepronomen Sie und das entsprechende Possessivpronomen Ihr sowie die zugehörigen flektierten Formen schreibt man groß.

Beispiele:

Würden Sie mir helfen? Wie geht es Ihnen? Ist das Ihr Mantel? Bestehen Ihrerseits Bedenken gegen den Vorschlag?

E1: Großschreibung gilt auch für ältere Anredeformen wie: Habt Ihr es Euch überlegt, Fürst von Gallenstein? Johann, führe Er die Gäste herein.

E2: In Anreden und Titeln wie Seine Majestät, Eure Exzellenz, Eure Magnifizenz schreibt man das Pronomen ebenfalls groß.

§ 66

Die Anredepronomen du und ihr, die entsprechenden Possessivpronomen dein und euer sowie das Reflexivpronomen sich schreibt man klein.

Beispiele:

Würdest du mir helfen? Hast du dich gut erholt? Haben Sie sich schon angemeldet?

E: In Briefen können die Anredepronomen du und ihr mit ihren Possessivpronomen auch großgeschrieben werden:

Lieber Freund, ich schreibe dir/Dir diesen Brief und schicke dir/Dir eure/Eure Bilder …

Peter Müller, SOK


Sehr geehrter Herr Müller

Danke für die Antwort.

Ich habe jetzt noch die Antwort vom KV Zürich erhalten, die sagen das Gegenteil von Ihnen, jetzt bin noch mehr verwirrt.

Wenn man eine Anrede mit Namen hat, dann schreibt man alles gross.

Schreibt man eben indirekt wie Sehr geehrte Damen und Herren, ohne Namen, dann schreibe man alles klein.

Ich denke, dass das noch was mit der neuen Rechtschreibung zu tun hat, die jungen Leute verwenden das, die älteren nicht.

Jetzt bin ich gleich gescheit wie vorher.

Haben Sie evtl. noch eine Idee? Im Geschäft haben wir jetzt Chaos, da niemand mehr weiss, was richtig ist. Aussage KV Zürich oder die von Ihnen.

J. D’A.

Hier die Antwort des KV:

Wir können Ihre Frage wie folgt beantworten:

In einem Text schreibt man die Anredepronomen im Allgemeinen klein. In einem
persönlichen Brief können sie auch gross geschrieben werden. Wir verweisen
hierzu auf den Duden „Die deutsche Rechtschreibung“, 25. Auflage, K 83.

Kaufmännischer Verband Schweiz


Sehr geehrte Frau D’A,

die Antwort des KV ist unvollständig; sie betrifft nur das Anredepronomen Du (Duden K 83). Dieses und die Höflichkeitsanrede Sie (Duden K 84) sind aber auseinanderzuhalten, wie das in unserer Antwort vom 11. März geschehen ist. Es bleibt deshalb dabei: In Ihrem Beispiel

Ich beziehe mich auf Ihren Brief, den Sie mir am 5.3.2014 zugestellt haben

sind Sie und das entsprechende Possessivpronomen Ihr gross zu schreiben. Die neue Rechtschreibung hat daran nichts geändert.

Peter Müller, SOK

Mehrzahl von Seegfrörni?

14. April 2014

In einem Text, den ich zu korrigieren habe, steht der Plural „Seegfrönis“. Meines Wissens haben schweizerdeutsche Wörter auf i keine Plural-Endung.

Auf Wiktionary finde ich nun die Variante: Seegfrörnen.

Was empfehlen Sie?

M. W.

 

Sehr geehrte Frau W.,

Aus der Mundart sind viele Wörter in die Wörterbücher und Lexika aufgenommen worden, darunter eine ganze Reihe auf -i, z. B. Ätti, Chilbi, Gnagi, Götti, Nuggi, Znüni, Zvieri, noch mehr natürlich Verkleinerungsformen auf -li wie Guetzli, Hörnli, Müesli, Plätzli, Rippli, Rüebli, Säli, Wädli, Weggli, Zeltli.

Bei allen männlichen und sächlichen Wörtern ist die Form des Plurals entsprechend der Usanz im Dialekt gleich wie die des Singulars. Bei weiblichen hingegen wird der Plural auch in der Mundart ausgedrückt (mit verstummtem -n). Der Plural im Schriftdeutschen Seegfrörnen ist deshalb durchaus richtig, wie übrigens auch bei Chilbenen, Schwettinen usw.

Peter Müller, SOK
(Mit herzlichem Dank an Prof. Ruedi Wachter für die Präzisierungen)

am Lesen oder am lesen?

9. Februar 2014

In einem Leserkommentar schrieb einer, der in Amerika lebt: …als ich am lesen war…

Da ich viel auf englisch lese und an der Flut der Grossbuchstaben keinen Gefallen finde, fand ich „am lesen“ ganz in Ordnung, ja sogar besser. Bleibt doch eine Tätigkeit eine Tätigkeit, egal ob am lesen oder beim lesen, wieso soll das ein Substantiv werden? Genau wie die SOK ja empfiehlt: im allgemeinen oder als nächstes.

Was meinen Sie dazu?

F. W.

 

Sehr geehrte Frau W.,

es geht um die Frage, wann ein Infinitiv als substantiviert gelten soll. Die Rechtschreibreform hat an der entsprechenden Regelung nichts geändert, auch nicht bei den Fällen am/beim/im + Infinitiv + sein. Die Grossschreibung bei am Lesen sein gehört also nicht zu der von ihr ausgelösten Flut der Grossbuchstaben.

Eine Substantivierung liegt zweifellos vor, wenn dem Infinitiv ein Artikel oder Adjektiv vorangeht:

  • das Lesen fördert das richtige Schreiben; Ursache des Unfalls war plötzliches Versagen der Bremsen

Vermutlich gehen Sie auch noch mit der Regelung einig, dass bei am/beim/im/zum + Infinitiv (aber ohne sein) und bei Präposition + Infinitiv eine Substantivierung vorliegt:

  • beim Lügen ertappt; im Vorbeigehen erledigt; auf Biegen oder Brechen; es ist zum Davonlaufen

Ebenso bei Infinitiven, von denen ein Attribut im Genitiv oder mit von abhängt:

  • Lackieren der Türe; Aufsetzen von verschiedenen Anwendungen

Fraglich ist hingegen, ob bei Infinitiven ohne Artikel oder nähere Bestimmung eine Substantivierung vorliegt; deshalb erlaubt die Regelung hier sowohl Gross- wie Kleinschreibung:

  • Geben/geben ist seliger als Nehmen/nehmen; sie lernt Rechnen/rechnen

Dabei gelten Infinitive, die direkt von einem Modalverb abhängen, aber nicht als substantiviert:

  • er will Geschenke einpacken; sie muss rechnen lernen

Wo sollen nun die Fälle am/beim/im + Infinitiv + sein eingereiht werden (die sogenannte Verlaufsform, die einen Vorgang oder Zustand ohne zeitliche Begrenzung erscheinen lässt)? Die Regelung, sowohl vor wie nach der Rechtschreibreform, zählt sie zu den substantivierten Infinitiven, also Grossschreibung. Das hätte man auch anders sehen können, als Grenzfälle wie bei den Infinitiven ohne Artikel oder nähere Bestimmung, also Freigabe der Schreibung. Das bedeutete aber eine unerwünschte Komplizierung der Regeln (in Kombination mit sein Freigabe, ohne sein Grossschreibung). Auch eine weitere Zunahme der Varianten (die andere, von der Rechtschreibreform hervorgerufene Flut) ist nicht erwünscht. Wir sind daher mit der Regelung einverstanden.

Übrigens gilt die Form am + Infinitiv (noch) nicht als standardsprachlich; sie gehört mehr der gesprochenen Sprache an. Das mag der Grund dafür sein, dass die Tendenz zur Kleinschreibung in diesem Fall besonders gross ist:

  • als ich am *lesen war

Es gilt aber als falsch. Und eine Spezialregelung für diesen Fall ist aus den gleichen, bereits erwähnten Gründen (keine unnötige Komplizierung der Regeln, keine weiteren Varianten) unerwünscht.

(Hauptquelle: Duden Bd. 9, Richtiges und gutes Deutsch, 7. Aufl., Mannheim 2011, ISBN 978-3-411-04097-1)

Peter Müller, SOK