SOK fordert Rechtschreibmoratorium

4. Juni 2009

Die Schweizer Orthographische Konferenz (SOK) ruft die politisch Verantwortlichen in Bund und Kantonen auf, die Rechtschreibreform am 1. August 2009 in den Schulen nicht notenwirksam werden zu lassen. Am 31. Juli 2009 geht die dreijährige Übergangsfrist, während der die herkömmlichen Schreibungen noch toleriert wurden, zu Ende.

In einer an der Frühlingstagung vom 4. Juni 2009 in Zürich einstimmig gutgeheissenen Resolution fordert die SOK ein Moratorium für Schule und Verwaltung. Das amtliche Regelwerk von 2006 und die Lehrmittel seien widersprüchlich und mit Fehlern behaftet. Alle herkömmlichen Schreibungen müssten wieder anerkannt und auf die Bevorzugung von Reformschreibungen müsse verzichtet werden.

Die Unzufriedenheit mit dem mittlerweile dritten amtlichen Regelwerk sei in den vergangenen Jahren stetig gewachsen. Der Rat für deutsche Rechtschreibung packe die anstehenden Verbesserungen nicht zügig genug an. Zeitungen, Verlage und Verwaltungen gäben sich Hausorthographien mit ganz unterschiedlichen Schreibweisen. 2008 haben die Chefredaktorenkonferenz und der Verband Schweizer Presse beschlossen, sich die Empfehlungen der SOK (www.sok.ch) zu eigen zu machen. Die SOK sei bereit, bei einer Überarbeitung des Regelwerks 2006 für schweizerische Bedürfnisse mitzuwirken.

An der Tagung nahmen neben Sprachwissenschaftern u. a. Chefredaktoren und Chefkorrektoren, Verleger, Lektoren und Schriftsteller, National-, Kantons- und Gemeinderäte, Mitglieder des Rats für deutsche Rechtschreibung sowie Gäste aus Deutschland und Österreich teil.

Prof. Rudolf Wachter (Universitäten Basel und Lausanne) wies in seinem Referat nach, wie die Rechtschreibreform langfristige Entwicklungstendenzen in der Gross-/Klein- und der Zusammen-/Getrenntschreibung mutwillig ignoriert oder sogar umzukehren versucht hat.

Gymnasiallehrer Stirnemann zeigte anhand von Wörterbüchern und Beispielen aus der Literatur, dass den Reformern auch einfachste Sachverhalte entgangen sind. Deswegen steht die neue Rechtschreibung bis heute im Widerspruch zur Sprachwirklichkeit.

In einem Podium unter der Leitung von Kantonsrätin Eva Nietlispach (SG) führte Nationalrätin Kathy Riklin aus, dass ihr 2004 eingereichtes und vom Bundesrat zustimmend beantwortetes Postulat – die Möglichkeit der Bedeutungsdifferenzierung in der Zusammen- und Getrenntschreibung wieder einzuführen – nicht wunschgemäss umgesetzt worden sei. Die Autoren Gisela Widmer und Jürg Amann erzählten von den Schwierigkeiten, die die Variantenflut und die Unsicherheit selbst bei Lektoren und Korrektoren bei der Arbeit mit verschiedenen Verlagen mit sich bringt. Alt Chefredaktor Gottlieb F. Höpli vom St. Galler Tagblatt und Suzann-Viola Renninger von den Schweizer Monatsheften berichteten von den guten Erfahrungen bei der Umstellung ihrer Medien auf die SOK-Rechtschreibung. Peter Müller von der SDA schliesslich kündigte eine Rechtschreibhilfe nach SOK-Empfehlungen für Textverarbeitungsprogramme an.

In der SOK sind Vertreter der Presse, der Literatur und der Sprachwissenschaft vereinigt. Sie haben sich zum Ziel gesetzt, die Sprachrichtigkeit und Einheitlichkeit der Rechtschreibung in Presse und Literatur zu fördern.

bereinigte Teilnehmerliste

Meldung SDA (erschien in verschiedenen Zeitungen und Online-Portalen)
Bericht NZZ
Bericht St. Galler Tagblatt
Beitrag Schweizer Radio DRS (Text / Ton 2,1 MB)
Beitrag Radio Central (Ton 4,1 MB)
Bericht Stolz-Verlag
Bericht Walliser Bote

Mujahedin oder Mudschahedin?

mujahedin12. Juni 2009

Grundsätzlich finde ich die Empfehlungen der SOK sinnvoll und
wünsche mir, dass ihnen möglichst viele Schreiber folgen mögen.

Zu folgendem Punkt habe ich eine Anmerkung:

Bei den Fremdwörtern geben Sie für die Schweiz Empfehlungen ab
nach dem Grundsatz, die Schreibweise in der Originalsprache
beizubehalten. Allerdings erwähnen Sie zwei Beispiele aus dem
Arabischen: Jihad (statt Dschihad) und Mujahedin (statt
Mudschahedin).

Die Schreibung mit j für den Laut dsch entspricht der
englischen Transliteration des Arabischen. Meines Erachtens
gibt es keine Berechtigung, nicht in dem lateinischen
Alphabet geschriebene Sprachen nach den Regeln einer
Drittsprache (des Englischen) wiederzugeben. Mujahedin ist
nicht näher an der Originalsprache als Mudschahedin.

Können Sie mir die Überlegungen erläutern, wie Sie auf
diese Empfehlung gekommen sind?

(Aus ähnlichem Grund leuchtet mir übrigens auch nicht ein,
wieso man Mexico City gegenüber Mexiko-Stadt den Vorzug gibt.
– Obwohl es sich hier nicht um eine Frage der Rechtschreibung,
sondern der Wortwahl handelt.)

D. R.

 

Sehr geehrter Herr R.,

auf den ersten Blick haben Sie natürlich recht: Transkriptionen aus fremden Alphabeten ins Deutsche sollten in die deutsche Lautung vorgenommen werden. Es sind aber weitere Kriterien zu berücksichtigen, vor allem – wie immer bei den Empfehlungen der SOK – der Usus.

Bei der Transkription arabischer Namen und Ausdrücke sind wir der Regelung der NZZ (und des St. Galler Tagblatts) gefolgt. Die NZZ schreibt in ihrem „Vademecum“:

„Gemäss den Gepflogenheiten der Geographie und Kartographie transkribiert die NZZ Namen in vormals unter britischer Souveränität stehenden Ländern englisch, Namen in vormals unter französischer Souveränität stehenden Ländern dagegen französisch. Die Letzteren sind, was die arabische Welt angeht, Syrien, Libanon, Tunesien, Algerien, Marokko und Mauretanien.

Bei den Vokalen gibt es den einzigen Unterschied, dass der arabische Vokal für ‚u‘ englisch mit ‚u‘, französisch aber mit ‚ou‘ transkribiert wird.

Bei den Konsonanten gibt es den einzigen Unterschied, dass der arabische Konsonant, der dem deutschen ‚sch‘ entspricht, englisch mit ‚sh‘, französisch dagegen mit ‚ch‘ transkribiert wird (z. B. der syrische Aussenminister Charea bzw. Farouk ach-Charea oder Chebaa-Höfe). Das deutsche ‚sch‘ gibt es in Transkriptionen der NZZ nicht.

Merke: Ob englisch oder französisch transkribiert – das deutsche ‚j‘ ist immer ‚y‘, das deutsche ‚dsch‘ ist immer ‚j‘, und deutsches ‚ch‘ ist immer ‚kh‘.“

Ein Probe in Google ergibt, dass die Schreibweisen mit dsch im deutschsprachigen Raum ungefähr 7:3 überwiegen, in der deutschen Schweiz allerdings – wohl aufgrund der NZZ-Regelung – nur mit etwa 6:4. Die SOK hat angekündigt, Richtlinien zu Transkriptionen herauszugeben (nicht zu verwechseln mit Transliteration; während die Transkription eine Annäherung an die Lautung mit Hilfe des lateinischen Alphabets versucht, handelt es sich bei der Transliteration um eine diakritische Zeichen enthaltende Umschrift, die auch eine Rückübersetzung ins fremde Alphabet erlaubt). Dabei werden wir auch die Transkriptionen arabischer Ausdrücke und Namen überprüfen. Transkribierte Namen werden dann in einer separaten Wörterliste erscheinen.

Im Falle von Mexico City liessen wir uns vom Usus leiten. Natürlich scheint es widersinnig, die spanischsprachige Hauptstadt, die nie unter englischer oder amerikanischer Souveränität stand, im Deutschen englisch zu bezeichnen. Dass es trotzdem getan wird, hat neben der Allgegenwart der englischen Sprache wohl auch damit zu tun, dass die offizielle spanische Bezeichnung Ciudad de México in Mexiko selbst ungebräuchlich ist; dort nennt man die Hauptstadt einfach México oder el D.F. (Distrito Federal), geschrieben „México D.F.“ oder – wie in lateinamerikanischen Ländern üblich – la capital. Das Land hat seinen Namen seinerseits von der Hauptstadt und wird meist la República genannt. Eine wiederum bei Google unternommene (und zugegebenermassen nie ganz beweiskräftige) Probe ergibt im deutschsprachigen Raum ein Verhältnis von ungefähr 6:4 zugunsten von City, während das Verhältnis in der deutschen Schweiz praktisch ausgeglichen 5:5 ist. Dies wohl weil die NZZ in diesem Fall sich für die Schreibweise Mexiko-Stadt entschieden hat – auch dies Anlass für uns, die Sache zu überprüfen.

Peter Müller, SOK

Fremdwörter ‒ Schreibweise des Herkunftslandes?

8. Juni 2009

Nachdem ich im Zusammenhang mit dem Rechtschreibemoratorium (if it is not broken, don’t fix it!) auf Ihre Website gestossen bin, habe ich eine Frage oder einen Vorschlag. Je nachdem.

Vorerst möchte ich Ihnen sagen, dass ich fliessend französisch und englisch spreche. 14 Jahre in Genf und über 10 Jahre im „englischsprachigen Business“ im Ausland tätig. Ich verstehe gesprochenes und geschriebenes Italienisch zu 70–80%, habe aber keine Sprechpraxis. Aufgewachsen in Zürich. Dann hatte ich Gelegenheit, insgesamt 6 Jahre in Moskau zu verbringen und Russisch zu lernen. Ich kann es zwar immer noch nicht, aber hinter den kyrillischen Buchstaben steckt ein grosser Haufen an deutschen und französischen Wörtern, die im Lauf der Geschichte den Weg nach Russland gefunden hatten. Nicht nur Wörter, auch Denkmuster. Nur machen die fremden Schriftzeichen den Zusammenhang für uns unsichtbar.

Was ich sagen möchte, ist das folgende: Jemand, der nicht mit mindestens 2 nachbarlichen Fremdsprachen sehr gut vertraut ist, ist nicht qualifiziert, die eigene Sprache zu reformieren. Denn es gibt Zusammenhänge zu berücksichtigen, die ausserhalb der zu reformierenden Sprache liegen.

Nun zu meinem Vorschlag betreffend Fremdwörter. Die Geschichte mit Maiones, Schpageti etc. Ein Fremdwort hat immer einen Ursprung in einer Sprache. Dort passt es auch phonetisch hinein. Fondue, Bolognese oder Paella – man sieht die Herkunft. Das ist nicht türkisch!

Entweder man kreiert ein äquivalentes Wort für eine Sache in der eigenen Sprache – wie „Kraftbrühe“ für „Sauce“ oder „Schmelzbrei“ für „Fondue“ – und dann ist das Problem gelöst. Wenn man das nicht kann, dann gilt die Schreibweise des Herkunftslandes des Wortes als Rechtschreibereferenz. Ohne die Wörter zu korrumpieren. Das gibt eine einfache Regel, die Sprache wird nicht „verhunzt“.

Gibt es solche Ansätze für die Fremdwortproblematik? Was halten Sie davon?

M. O.

 

Sehr geehrter Herr O.,

wir sind mit Ihnen weitgehend einverstanden. Ganz so einfach, wie Sie vorschlagen (äquivalentes Wort benutzen oder fremde Schreibweise), ist es allerdings nicht – wie so oft in der Orthographie! Es gibt Fremdwörter, die längst vollkommen eingedeutscht sind, ohne dass dagegen noch etwas einzuwenden wäre: Ballett statt Ballet, Büro statt Bureau, Affäre statt Affaire; Bluse, Dusche, Fabrik, Frisur, Garderobe, Karosse, Kompliment, Konfitüre, Minister; Bankrott, Fresko, Konzert, Menuett.

In der Schweiz verfahren wir bei der Eindeutschung von Fremdwörtern traditionell viel zurückhaltender als Deutschland und Österreich, etwas was mit „Rücksicht auf unsere anderen Landessprachen“ umschrieben werden könnte (Prof. Rudolf Wachter).

Das führt nach Empfehlung der SOK gelegentlich auch zu Abweichungen vom amtlichen Wörterverzeichnis wie neuerdings bei Communiqué, das unverständlicherweise ausgeschieden ist, während neu Kommunikee als Variante zu Kommuniqué aufgenommen wurde, oder bei Tea-Room (es gibt nur noch Tearoom). Gleich erging es den fremd geschriebenen Caramel, Couvert, Friteuse, Friture und Stukkatur: sie schieden aus; wo waren hier eigentlich die Schweizer Vertreter in den entsprechenden Gremien? Bei Apéritif, Bohème, Bohémien, Cognac, Crème, Début, Déjeuner, Eclat, Entrée, Nécessaire, Ouverture, Pédicure, Protégé, Résumé; Bay, Vademecum bestand die Abweichung schon in der herkömmlichen Rechtschreibung. Abweichungen bei nicht im amtlichen, sondern nur im Duden verzeichneten Fremdwörtern sind Cédille, Championnat, Décharge, Directrice, Ecarté, Ecossaise, Enquête, Entrecôte, Etagère, Flambé.

Wo Varianten bestehen, empfiehlt die SOK grundsätzlich die nicht eingedeutschte: Buffet, Décolleté, Dépendance, Menu, Meringue, Mohair, Mousseline, Occasion, Portemonnaie, Praliné, Quai, Spaghetti, Tricot (Stoff), Variété. Ausnahmen sind allgemein gebräuchliche eingedeutschte Schreibweisen wie Frottee, Jacht, Kampagne, Koffein, Kompanie, Mokka, Zirkus und – trotz fremder Aussprache! – Korps.

Mischformen wie Creme, Kapriccio, Kommuniqué, Ekossaise, Direktrice, Protegé sind, auch aus didaktischen Gründen, zu vermeiden.

Die SOK empfiehlt, nach der Faustregel „Bei fremder Aussprache fremde Schreibweise“ zu verfahren: das führt u. a. zu den bereits erwähnten Schreibweisen Couvert, Eclat, Flambé.

Die Bezeichnung „Faustregel“ ist geboten, weil die Regel nicht in allen Fällen anwendbar ist:

a) Ausnahmsweise fremd ausgesprochen und trotzdem eingedeutscht geschrieben werden beispielsweise: Bankier (in Deutschland gemischt ausgesprochen, vorne deutsch, hinten fremd!), Biskuit (in Deutschland deutsch ausgesprochen), ausserdem die auch in Deutschland fremd ausgesprochenen Gelee, Interieur, Korps, Ragout, Reduit, Regime, Soiree, Visavis.

b) Die Regel hilft nicht, wenn die fremde Aussprache mit der deutschen identisch oder beinahe identisch ist, z. B.: Büro, Frottee, Klischee.

Die Faustregel berücksichtigt immerhin die im Gegensatz zu Deutschland in der Schweiz in vielen Fällen noch übliche fremde Aussprache: Quai, Buffet, Caramel usw.

Zu beachten ist allerdings, dass es auch die umgekehrte Erscheinung gibt: fremde Aussprache in Deutschland, deutsche (oder schwankende) Aussprache in der Schweiz: Kantonnement, Reglement, Karton, Parfum (sogar bei eindeutschender Schreibweise Parfüm); im Falle von Usance/Usanz ist sogar auch die Schreibweise unterschiedlich: fremd in Deutschland, deutsch in der Schweiz.

Peter Müller, SOK

lügend – ein Adjektiv oder nicht?

8. Juni 2009

Mein Sohn (5. Klasse) musste an einer Deutschprüfung (aus Lernzielkontrollen „Die Linda-Klasse besiegt sich selbst“) aus dem Wortstamm lüg ein Nomen, ein Verb sowie ein Adjektiv bilden. Als Adjektiv hat er dann lügend aufgeschrieben, was ihm seine Lehrerin als falsch angestrichen hat. Auf seine Nachfrage zu Hause habe ich ihm dann mitgeteilt, dass dies für mich ebenfalls ein Adjektiv sei. Im Duden ist lügend zwar nicht zu finden, was aber nicht zwingend bedeutet, dass es das Wort nicht gibt. Aufgrund der Hinweise für den Gebrauch des Dudens darf nämlich aus dem Fehlen eines Wortes nicht geschlossen werden, dass es nicht gebräuchlich oder nicht korrekt ist. Ich habe meinen Sohn dann sogar noch auf www.canoo.net verwiesen, wo die Flexion von lügend zu finden ist. Die Lehrerin beharrt aber – trotz Verweis auf canoo – auf ihrer Meinung, es handle sich nicht um ein „gutes Wort“, es stehe nicht im Duden. Deshalb sei die Lösung lügend falsch. Richtig wäre lügnerisch. Auch auf meine Intervention hin liess sie sich von ihrer Meinung nicht abbringen.

Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie als für mich doch massgebende Fachleute dazu Stellung nehmen könnten. Ist die Lösung LÜGEND als Adjektiv falsch oder nicht?

Im voraus vielen Dank für Ihr Feedback.

A. H.

 

Sehr geehrter Herr H.,

die Lehrerin hat strenggenommen recht: lügend ist an sich kein Adjektiv, sondern ein Partizip, das aber adjektivisch gebraucht werden kann; ein bisschen recht haben Sie also auch. Eine Wendung wie beispielsweise Der pausenlos lügende Baron Münchhausen ist grammatisch vollkommen in Ordnung. Partizipien werden auf deutsch Mittelwort genannt, ein Hinweis darauf, dass sie zwischen Verb und Adjektiv angesiedelt sind. Sie „partizipieren“, wie der Name sagt, an den Wortarten Verb und Adjektiv.

Manche Partizipien sind reine Adjektive geworden: ein reizendes Lächeln, schneidende Kälte; lügend gehört wie schlafend, essend im normalen Sprachgebrauch dagegen zum Verb.

Nicht alle Partizipien sind im adjektivischen Gebrauch üblich, und bei zweiten Partizipien von intransitiven Verben ist der adjektivische Gebrauch sogar falsch, obwohl er häufig anzutreffen ist: die gestern *stattgefundene Versammlung.

Die Lernzielkontrolle erwartete natürlich ein echtes Adjektiv zum Stamm lüg, also etwa das von der Lehrerin erwähnte lügnerisch oder dann lügenhaft. Es wäre aber angezeigt gewesen, die Lehrerin hätte Ihrem Sohn nicht nur den Fehler angestrichen, sondern ihm auch die Zusammenhänge Partizip/Adjektiv erklärt.

Abwegig ist die von der Lehrerin vertretene Meinung, Wörter, die im Duden (gemeint ist das Rechtschreibwörterbuch) nicht vorkommen, seien schlecht. Zum Stamm lüg liessen sich weitere, im Duden nicht aufgeführte Adjektive bilden, die ohne weiteres benutzt werden können, z. B. lügengleich. Duden führt Flexionsformen nicht immer auf und kann unmöglich alle Zusammensetzungen, geschweige denn Wendungen (Wortgruppen) aufführen. Duden weist, wie Sie richtig erwähnen, ausdrücklich darauf hin, dass für die Auswahl der Stichwörter hauptsächlich rechtschreibliche und grammatische Gründe massgebend sind. „Aus dem Fehlen eines Wortes darf also nicht geschlossen werden, dass es vollkommen ungebräuchlich oder nicht korrekt ist.“

Peter Müller, SOK