selbständig/selbstständig

1. Dezember 2008

Seit einiger Zeit fällt mir auf, dass immer häufiger selbstständig statt selbständig geschrieben wird. So spricht doch kein Mensch! Nun liest man es sogar in schweizerischen Gesetzen. Des Rätsels Lösung habe ich im „Leitfaden zur deutschen Rechtschreibung“ der Bundeskanzlei gefunden. Dort wird gesagt, man schreibe beim Bund „im Sinne einer einheitlichen Einhaltung des Stammprinzips“ selbstständig. Wie ist die Haltung der SOK zu diesem „Problem“?

M. P.

 

Sehr geehrte Frau P.,

die Erklärung der Bundeskanzlei in ihrem Leitfaden leuchtet uns nicht ein. Erst sagt sie, die Reform habe neu selbstständig zugelassen, obwohl diese Herleitung nicht stimme, der Wortstamm sei selb-. Dann beruft sie sich im nächsten Abschnitt bei der Wahl von selbstständig auf ebendiesen „falschen“ Stamm; es gehe um die Einhaltung eines einheitlichen Stammprinzips!

selbstständig ist keine falsche Herleitung, sondern es gibt eben beide Stämme, selbst- und selb- (in selbdritt, selber, derselbe usw.). Damit gab es in Tat und Wahrheit auch schon immer beide Formen, selbständig und selbstständig. Es war falsch, dass die herkömmliche Rechtschreibung selbstständig ausgeschlossen hat (mit dem Hinweis, dass selbst auch mit dem Stamm selb- gebildet sei). Es ist aber nachvollziehbar, dass eine Hausorthographie wie diejenige der Bundeskanzlei sich auf eine Form beschränkt. Bloss die Auswahl ist fragwürdig. Wenn schon eine Beschränkung, dann auf selbständig, es ist das übliche Wort, es ist das ältere Wort, und es entspricht, wie Sie richtig erwähnen, der allgemein üblichen Aussprache. Dementsprechend empfiehlt die SOK selbständig. Auch der Rat für deutsche Rechtschreibung schreibt in seinem amtlichen Regelwerk ausschliesslich selbständig; es kommt dort nicht weniger als achtmal vor.

Auch die im Leitfaden ausgesprochene Erwartung, man spreche mit der Zeit evtl. zwei st, ist abwegig. Denn selbständig ist ganz einfach unendlich viel leichter zu sprechen (und auch zu schreiben) als selbstständig. Mindestens solange beide Schreibweisen anerkannt sind, wird sich selbstständig kaum als alleinige Form durchsetzen.

Prof. Theodor Ickler spricht beim Phänomen, dass sich bis 1996 fast jedermann sklavisch an die Vorschrift selbständig gehalten habe und nun plötzlich selbstständig bevorzuge, von „Putativ­gehorsam“ und „einem kuriosen Fall, der bei näherem Hinsehen tiefen Einblick in die deutsche Mentalität“ erlaube. Und in die schweizerische, möchte man hinzufügen… Er schliesst seinen Aufsatz: „Die Beflissenheit, mit der Menschen, die bisher nie selbstständig gesagt und geschrieben haben, dies nun im Gefolge der Reform tun zu müssen glauben, wirkt gerade deshalb so kleingeistig, weil sie nachträglich aufdeckt, in welch unsinniger Weise sie sich zuvor dem Fehlurteil der Wörterbuch­macher und Sprachpfleger unterworfen hatten. Nun taten sie so, als könnten sie sich endlich einen langgehegten Herzenswunsch erfüllen und ungerügt von Selbstständigkeit reden.“

Peter Müller, SOK

 

Der Aufsatz von Prof. Theodor Ickler ist hier zu finden, siehe auch hier.

ck bei der Worttrennung

19. November 2008

Ich freue mich, dass ich endlich einen Ansprechpartner gefunden habe, dem ich mein Anliegen vortragen kann; denn hier in Deutschland kann ich keinen ausfindig machen, der mich nicht mit nichtssagenden Worten abweist.

In der Zeitschrift des Deutschen Philologenverbands „Profil“, 10/2008, S. 33, lese ich, dass seitens der Schweizer Orthographischen Konferenz „reformierte Schreibweisen wie die Dreikonsonanten­regel […] sowie die ck– und st-Trennung nicht beanstandet“ werden.

Die Trennung eines st kann ich noch mitvollziehen, nicht aber die von ck in z. B. Zu-cker; denn es wäre m. E. sinnvoll gewesen, das ck zu ersetzen durch kk, dann wäre die ursprüngliche Trennung in k-k geblieben und wäre nicht jedes Mal zu überlegen, ob der Vokal als letzter Buchstabe der Zeile kurz gesprochen wird (weil vor dem ck in der nächsten Zeile) oder lang, weil kein Doppelkonsonant den folgenden Wortteil einleitet.

Dies als Anregung, und ich bitte Sie, sich auch für meinen Vorschlag stark zu machen und ihn den entscheidenden Gremien mit der Bitte vorzutragen, die „neue Rechtschreibung“ auch in diesem Punkt zu überdenken.

Über die Darlegung Ihrer Ansicht in dieser Sache würde ich mich freuen.

P. W.

 

Sehr geehrter Herr W.,

wir pflichten Ihnen durchaus bei, dass auch im Falle der ck-Trennung die herkömmliche Regel besser als die „reformierte“ sei. Wir beanstanden die neue Regel nur deshalb nicht, weil erstens eine Ablehnung aller neuen Regeln, d. h. eine amtliche Wiedereinführung der herkömmlichen Rechtschreibung, zurzeit offensichtlich nicht zu erreichen ist und weil wir zweitens die Frage der Silbentrennung nicht als gleich wichtig wie andere bewerten (von Linguisten wird sogar bezweifelt, dass die Silbentrennung überhaupt ein Thema der Rechtschreibung sei). Dennoch die folgenden Überlegungen:

Von den drei in Frage kommenden Trennungen k-k, c-k und -ck halten wir -ck für die schlechteste. Sie geht auf einen Vorschlag von Prof. Horst Haider Munske zurück, den er in „Orthographie als Sprachkultur“ (Peter-Lang-Verlag, Frankfurt/M., 1997) nochmals dargelegt hat, obwohl er zu diesem Zeitpunkt bereits davon abgekommen war. Er fusst nämlich auf dem Irrtum, dass es sich bei ck um einen Digraphen wie ch handle oder doch um „etwas hinreichend Ähnliches“ (Prof. Theodor Ickler). Digraphen dürfen nicht getrennt werden.

In Tat und Wahrheit ist ck natürlich etwas ganz anderes, nämlich eine typographische Variante von kk. Kurze Vokale werden in der Regel durch die Verdoppelung des folgenden Konsonanten angezeigt (fallen, Mappe usw.). Bei k (und z) wird der Konsonant ausnahmsweise nicht verdoppelt, sondern zu ck (bzw. tz) verwandelt (Zucker, Katze)1. Das kk bei der Trennung k-k stellt also bloss die Ausgangssituation wieder her.

Eine – hier irrelevante – Analogie zwischen ck und ch gibt es allerdings: beides sind Sonder­graphien, was die Kennzeichnung des kurzen Vokals betrifft. ch wird (wie auch sch) zur Kennzeichnung des kurzen Vokals ausnahmsweise nicht verdoppelt. Damit will man eine unübersichtliche Ansammlung von Buchstaben vermeiden (machen, nicht *machchen). Diese Analogie rechtfertigt aber die scheinbare Gleichbehandlung bei der Trennung keineswegs. Denn würde man tatsächlich *machchen schreiben, würde man selbstverständlich auch hier zwischen den zwei Konsonanten (hier Digraphen) trennen: *mach-chen. Und würde man das durch die Verdoppelung entstehende Buchstabenpaar als nicht trennbaren Digraphen bezeichnen, müsste man auch *fa-llen, *Ma-ppe trennen.

Eine relevante Analogie hingegen besteht zu Fremdwörtern, in denen kk und zz nicht zu ck und tz verändert werden: Mokka, Sakko; Pizza, Razzia, Skizze usw. Diese werden selbstverständlich zwischen den Konsonanten getrennt: Mok-ka, Sak-ko; Piz-za, Raz-zia, Skiz-ze.

Die Trennung -ck unter Hinweis auf ch2, also auf eine scheinbare, d. h. falsche oder zumindest irrelevante Analogie, hat damit die Qualität der von der Reform eingeführten volksetymologischen Herleitungen wie nummerieren, platzieren, Quäntchen, einbläuen usw. Gegen die Trennung -ck spricht ausserdem, dass der Leser am Zeilenende irregeführt wird: Er erwartet beim Lesen von Zu- einen langen Vokal und muss dann gedanklich umstellen, wenn er auf der nächsten Zeile cker liest. Ausserdem steht mit ck eine Buchstabenverbindung am Zeilenanfang, die nicht auch an einem Wortanfang stehen kann.

Gegen die an sich naheliegende Trennung c-k (Zuc-ker) spricht, dass der Leser damit am Zeilenende erst recht irregeführt würde, weil c im Deutschen als einzelner Buchstabe nicht vorkommt und er das c zunächst als ts liest. (Bei t-z gibt es diese Gefahr nicht, eine Wieder­herstellung der Ausgangssituation mit einer Trennung z-z ist deshalb nicht notwendig.)

Daraus folgt, dass die Trennung Zuk-ker die beste, wenn nicht sogar die einzig richtige ist. Gegen sie wird angeführt, das vertraute Schriftbild werde damit verändert und es sei linguistisches Wissen nötig, um sie zu verstehen. Das hat eine gewisse Berechtigung. Diese Nachteile wiegen jedoch wesentlich leichter als diejenigen der Trennungen Zu-cker und Zuc-ker. Mit der k-k-Trennung hat ausserdem kaum jemand Probleme, auch der nicht, der die linguistischen Gründe dafür nicht kennt. Auch die Silbentrennprogramme beherrschen sie problemlos. Die SOK schliesst nicht aus, sich zu einem späteren Zeitpunkt für die Wiedereinführung dieser Trennung einzusetzen.

Peter Müller, SOK

1    Zu den Gründen für die Entstehung dieser Ausnahmen gibt es verschiedene Theorien. Johann Jacob Wippel (1759–1765) vermutet den Grund darin, dass „ck und tz bequemer im Schreiben“ sei. Karl Ferdinand Becker (1775–1849)  schreibt in seiner „Ausführlichen deutschen Grammatik“ (1836): „Der Gebrauch des ck statt kk ist uralt. Im Alt- und Mittelhochdeutschen wird häufig im Auslaute c statt k, und besonders im Mittelhochdeutschen ck statt kk geschrieben, z. B. Schalc, Folc, starc, Sac, Sackes, Blic, Blickes, Druc, Druckes: der Gebrauch des tz statt zz kommt schon im Alt- und Mittelhochdeutschen vor und findet eine Erklärung darin, daß der Zischlaut z ursprünglich aus der Tenuis t hervorgegangen ist.“ Eine (von den heutigen, aber auch von früheren Reformern durchaus erwogene) Eliminierung dieser Ausnahmen durch die Einführung der Schreibweisen *Zukker, *Kazze (wie in den Fremdwörtern Mokka, Pizza) muss verständlicherweise am Widerstand gegen die Änderung gewohnter Schriftbilder scheitern.

2     § 111 des amtlichen Regelwerks: „Stehen Buchstabenverbindungen wie ch, sch; ph, rh, sh oder th für einen Konsonanten, so trennt man sie nicht. Dasselbe gilt für ck.“
a/small>

englische Fügungen (Fortsetzung)

23. Oktober 2008

Vielen Dank für Ihre ausführliche Antwort!

Zu einem Punkt habe ich noch eine Frage: Sie empfehlen mir die Schreibweise Key Feature, analog zu Key Account. Ist diese Schreibweise darauf zurückzuführen, dass der Duden Key-Account-Management schreibt oder auf Ihre Aussage, dass die Tendenz zur Integration englischer Fremdwörter im Deutschen rückläufig sei? (In den Wörterlisten [auf www.sok.ch] konnte ich Key Account nirgends finden.) Ich frage mich nämlich, wieso der Duden eigens eine integrierende Schreibweise für Fügungen des Typs Substantiv + Substantiv vorsieht, wo die Tendenz anscheinend auf eine nicht integrierte Schreibweise hinausläuft. Kann man also mit dem Argument „Grad der Integration“ bei Einzelfällen auf die alte „herkömmliche“ Rechtschreibung vor 06 pochen?

N. H.

 

Sehr geehrte Frau H.,

wir empfehlen die Schreibweise Key Feature, weil dies eine (noch) wenig gebräuchliche Fügung ist (deswegen ist sie ja auch im Duden nicht aufgeführt, auch nicht im Fremdwörterbuch). Neu auftauchende Fügungen schreibt man normalerweise zunächst in der Schreibweise der Ausgangssprache. Erst wenn die Fügung häufig gebraucht wird, kommen vermehrt integrierte Schreibweisen vor. Der Hinweis auf Key Account sollte nur besagen, dass wir beide Fälle gleich behandeln werden. Key Account ist wie Key Feature noch nicht in den publizierten Wörterlisten der SOK enthalten.

Der Duden-Eintrag Key-Account-Management lässt keinen Rückschluss darauf zu, ob Duden sich für Key Account oder Key-Account entscheiden würde; lediglich die Schreibweise Keyaccount kann, was Duden betrifft, damit ausgeschlossen werden.

Die Aussage, die Tendenz zur Integration englischer Fremdwörter im Deutschen sei rückläufig, bezog sich hauptsächlich auf neu auftauchende englische Fügungen. Daneben gibt es natürlich schon länger im Deutschen gebräuchliche Fügungen, bei denen sich die eindeutschende Schreibweise zu festigen beginnt oder sich bereits gefestigt hat. Deshalb ist es durchaus richtig, dass Duden auch (Aircondition usw.) oder in manchen Fällen sogar ausschliesslich (Airbag, Powerplay, Weekend usw.) integrierte Schreibweisen vorsieht.

Ein Indiz für diese Tendenz liefert vielleicht auch der Umstand, dass Duden in zahlreichen Fällen – und im Gegensatz zur ausschliesslich eingedeutschten Schreibweise in der herkömmlichen Rechtschreibung – auch die nichtintegrierte Schreibweise als Variante aufführt, z. B. Desktop-Publishing, Mountain-Bike; Long Drink; Buy-out, Count-down, Feed-back, Knock-out, Play-back usw. Grund dafür könnte aber auch sein, dass Duden eine durchgängige Regel anstrebt. Darauf weisen z. B. die neu aufgenommenen Schreibweisen Come-back und Lay-out hin, die heute in integrierter Schreibweise vermutlich viel häufiger sind. Allerdings hätte man dann beispielsweise auch die Varianten Cash-Flow (statt nur Cashflow) und vor allem das in der Schweiz ohnehin ausschliesslich gebräuchliche Tea-Room (statt nur Tearoom) erwartet.

Um den „Grad der Integration“, den Usus, im Einzelfall festzustellen, wären Proben möglichst grosser Korpora von Qualitätstexten nötig. Wir nehmen zugunsten der herkömmlichen Rechtschreibung vor 1996 an, dass dies ihre Vorgehensweise bei der Festlegung der Schreibweisen war, während die Regelung 06 grössere Regelhaftigkeit ohne Rücksicht auf den Usus anstrebt. Die herkömmliche Rechtschreibung dürfte damit den Usus besser beschreiben als die Regelung 06.

Allerdings verändert sich der Usus, er wird ausserdem seit der Regelung 96 von dieser und ihren Nachfolgerinnen beeinflusst, und er ist, besonders im vorliegenden Bereich, regional und auch je nach Branche unterschiedlich. Ausserdem sind die Schreibweisen sogar in der Ausgangssprache Englisch nicht in allen Fällen gefestigt.

Daraus ergibt sich: Man sollte bei der Korrektur von Schreibweisen in diesem Bereich tolerant handeln. Wir würden beispielsweise weder Key Account noch Key-Account noch Keyaccount als falsch bezeichnen.

Anders ist es natürlich in Haus- oder Branchenorthographien; dort besteht das Bedürfnis, aus Gründen der Einheitlichkeit die Schreibweisen festzulegen. Dies tut die SOK im Falle der von ihr empfohlenen Orthographie für die grafische Branche in der beschriebenen Weise.

Peter Müller, SOK

gross schreiben/zusammenschreiben

12. Oktober 2008

Wie stellt sich die SOK eigentlich zu gross / klein / getrennt schreiben bzw. gross- / klein- / getrenntschreiben? Es liegt ja semantisch nicht genau dasselbe vor wie bei krankschreiben, kleinschneiden usw., wo faktitive Bedeutung herrscht. So könnte mir persönlich Getrenntschreibung (nur im Verbum natürlich) durchaus einleuchten. Daneben könnte man so erst noch das Grossschreiben in der Bedeutung von „etwas für wichtig nehmen“ durch Zusammenschreiben vom orthographischen Gross-Schreiben unterscheiden. Aber vielleicht ist das alles ja allzu Spitz findig.

R. W.

 

Sehr geehrter Herr W.,

die Frage der Schreibweise von gross / klein / getrennt / zusammen schreiben illustriert das Problem der Beurteilung von wörtlicher Bedeutung / neuer Gesamtbedeutung in der Zusammen-/Getrennt­schreibung, aber auch anderer Fragen wie Rückbildung aus Substantiven und Betonung.

Die herkömmliche Rechtschreibung versteht „mit grossem/kleinem Anfangsbuchstaben schreiben“ als wörtliche Bedeutung (also Getrenntschreibung), „hochschätzen/geringschätzen“ als neue Gesamt­bedeutung (also Zusammenschreibung):

Dieses Wort wird einmal klein, einmal gross geschrieben; aber:
Toleranz wird bei ihm grossgeschrieben
Demokratie wird in diesem Betrieb kleingeschrieben

Bei getrennt schreiben ergibt sich kein möglicher Bedeutungsunterschied. Da herkömmlich hier getrennt geschrieben wird, kann angenommen werden, Getrenntschreibung sei für diese Reihe in der herkömmlichen Rechtschreibung die normale Schreibung.

Bei zusammenschreiben / zusammen schreiben ergibt sich ein Bedeutungsunterschied, der ausserdem von der Betonung gestützt wird:

die beiden Wörter werden zusammengeschrieben; aber:
sie haben dieses Buch zusammen geschrieben

In der herkömmlichen Rechtschreibung werden, wenn das Schreiben gemeint ist, gross / klein / getrennt schreiben also getrennt geschrieben, zusammenschreiben aber wird zusammengeschrie­ben. Das ist zwar gut begründet, aber für Schüler ist es nicht ganz leicht, sich die Reihe zu merken. Wenigstens richtet sich die Schreibweise der Verbindungen mit dem Partizip II immer nach derjenigen der Verbindungen mit dem Infinitiv (gross schreiben, also gross geschrieben, zusammenschreiben, also zusammengeschrieben).

Die Regelung 06 versteht „mit grossem/kleinem Anfangsbuchstaben schreiben“ umgekehrt als neue Gesamtbedeutung (also Zusammenschreibung), im Gegensatz zur wörtlichen Bedeutung „mit grossen/kleinen Buchstaben schreiben“. Diese Unterscheidung leuchtet weit weniger ein als die von der herkömmlichen Rechtschreibung angestellte. Anders kann die Zusammenschreibung aus den revidierten Regeln § 34 aber nicht abgeleitet werden. In früheren Versionen wurde die Zusammen­schreibung mit Rückbildung aus Substantiven (Gross-/Kleinschreibung) begründet. Die Reihe wird damit für Schüler vollends undurchsichtig. Eine zusätzliche Schwierigkeit besteht darin, dass sich die Schreibweise der Verbindungen mit dem Partizip II nicht nach derjenigen der Verbindungen mit dem Infinitiv richtet, sondern dass dort jeweils beide Schreibweisen gültig sind. Das amtliche Wörterverzeichnis weist dazu bei gross/klein/getrennt jeweils auf § 36 (2.1) hin: „(2) Zusammen- wie auch getrennt geschrieben werden kann, wenn der entsprechende Ausdruck sowohl als Zusammensetzung als auch als syntaktische Fügung angesehen werden kann. Dies betrifft (2.1) Verbindungen von Substantiven, Adjektiven, Verben, Adverbien oder Partikeln mit adjektivisch gebrauchten Partizipien.“

zusammenschreiben ist im amtlichen Wörterverzeichnis und auch im amtlichen Regelwerk dagegen gar nicht aufgeführt. Duden und Wahrig verzeichnen, auch beim Partizip, für „mit grossen Anfangsbuchstaben schreiben“ nur Zusammenschreibung, um den Bedeutungsunterschied zu zusammen schreiben wie in der herkömmlichen Rechtschreibung sichtbar zu machen.

Als Vorteil der Regelung 06 könnte man anführen, dass grossschreiben/kleinschreiben (wie auch Dudens/Wahrigs zusammenschreiben) der Betonung entspreche. Das hilft Schülern als Faustregel aber auch nicht weiter, weil dann getrennt schreiben als Ausnahme übrigbleibt.

Die SOK empfiehlt aus diesen Gründen, der Regelung 06 hier nicht zu folgen, sondern die herkömmliche Rechtschreibung zu verwenden.
 

Übersicht („schreiben“ in wörtlicher Bedeutung):

  herkömmlich Regelung 06
gross+schreiben gross schreiben grossschreiben
gross+geschrieben~ (attr.) gross geschrieben~ grossgeschrieben~ / gross geschrieben~*
gross+geschrieben (präd.) gross geschrieben grossgeschrieben / gross geschrieben*
     
klein+schreiben klein schreiben kleinschreiben
klein+geschrieben~ (attr.) klein geschrieben~ kleingeschrieben~ / klein geschrieben~*
klein+geschrieben (präd.) klein geschrieben kleingeschrieben / klein geschrieben*
     
getrennt+schreiben getrennt schreiben getrennt schreiben
getrennt+geschrieben~ (attr.) getrennt geschrieben~ getrennt geschrieben~ / getrenntgeschrieben~*
getrennt+geschrieben (präd.) getrennt geschrieben getrennt geschrieben / getrenntgeschrieben*
     
zusammen+schreiben zusammenschreiben zusammenschreiben**
zusammen+geschrieben~ (attr.) zusammengeschrieben~ zusammengeschrieben~**
zusammen+geschrieben (präd.) zusammengeschrieben zusammen geschrieben**


* Mit Verweis auf § 36 (2.1) wird bei gross/klein auch Getrennt-, bei getrennt auch Zusammenschreibung erlaubt: „(2) Zusammen- wie auch getrennt geschrieben werden kann, wenn der entsprechende Ausdruck sowohl als Zusammensetzung als auch als syntaktische Fügung angesehen werden kann. Dies betrifft (2.1) Verbindungen von Substantiven, Adjektiven, Verben, Adverbien oder Partikeln mit adjektivisch gebrauchten Partizipien.“

** In amtlichem Wörterverzeichnis und Regelwerk nicht aufgeführt; Duden/Wahrig verzeichnen für die Bedeutung „mit grossen Anfangsbuchstaben schreiben“ nur Zusammenschreibung.

Peter Müller, SOK