Rechtschreibreform – Grammatikreform?

19. Juni 2009

Ich habe mit Interesse den Artikel von Rudolf Wachter in der „NZZ am Sonntag“ vom 17. Mai 2009 gelesen und teile seine Meinung zur Rechtschreibreform vollumfänglich. Dadurch habe ich auch von Ihrer Arbeit erfahren.

Nachdem ich als einer, der mit der Sprache umzugehen gewohnt ist, auch seit gut einem Jahrzehnt das Hin und Her erdulden muss, was bei mir (wie bei vielen anderen) dazu führte, dass ich mich seither – so oft wie nie in all den Jahren vor 1996 – vergewissern muss, dass meine Schreibweise auch wirklich die dem gerade offiziellen Stand gemässe ist, meine ich feststellen zu können, dass korrektes Deutsch zu meinem Leidwesen immer weniger Menschen wichtig zu sein scheint.

Ich glaube schon, dass das anhaltende Vor und Zurück einen diesbezüglichen negativen Trend noch zusätzlich befördert hat.

Das Resultat sehe ich in Verwerfungen, entstanden durch das immer neue Ändern der Rechtschreibung. Mir fällt nämlich auf, dass die Grammatik ebenfalls einer Reform zu folgen scheint, zu der nie etwas zu lesen oder zu hören ist. Möglicherweise sind die Lehrpersonen besser orientiert und vielleicht auch gewisse Journalisten.

Beispiele gibt es zuhauf. Beim Genitiv etwa wird abgebaut, was das Zeug hält. Der Konditionalsatz wird mit „weil“ statt „denn“ eingeleitet. Unbestimmte Mengenangaben wie „Hunderte von Menschen“ werden ohne das sinnvolle „von“ geschrieben, was nicht nur unschön klingt, sondern auch orthographische Fehler produziert, indem die einen die Zahlangabe gross, die andern klein schreiben usw.

Es würde mich deshalb in dem Zusammenhang interessieren, ob die neue Rechtschreibung, da wo auf sie „moderne“ Grammatik einwirkt, wenigstens etwas Kohärentes zuwege gebracht hat.

Selbstredend gäbe es hierzu noch um einiges mehr zu sagen, als das, was hier angetönt ist, doch liegt mir lediglich daran, im Sinne eines pfleglichen Umganges mit unseren schönen Sprache Sie an Gedanken zu einem m. E. konstant ausgeklammerten Aspekt teilhaben zu lassen und vielleicht auch zu fragen, ob er ggf. auch bei Ihnen Thema ist, bzw. sein könnte.

J. B.

 

Sehr geehrter Herr B.,

vielen Dank für Ihre Mitteilung. Die sogenannte Reform der Rechtschreibung fördert sicher die Nachlässigkeit im Umgang mit der Sprache, und die Grammatik ist von ihr auch betroffen. Beispiel: die Grossschreibung von Tageszeiten (heute Morgen) und die Trennung alter Adjektive: „Sie ist weit gereist“ soll dasselbe bedeuten wie „sie ist weitgereist“ (d. h. jemand, der reiseerfahren ist). Damit sind die Schreibregeln des Deutschen verletzt, welche gerade in den Bereichen Gross/Klein und Getrennt/Zusammen grammatischen Verhältnissen folgen, d. h. den Verhältnissen der Formen im Satz.

In diesem Durcheinander stecken wir nach dreizehn Jahren Reform immer noch, und die Frage ist, wie lange es wohl dauert, bis wir ihm entkommen sind. Die SOK kann diesen Prozess abkürzen. Voraussetzung ist freilich, dass sie unterstützt wird.

Am besten treten Sie der SOK bei und machen in Ihrem Umkreis auf die SOK aufmerksam.

Stefan Stirnemann, SOK

Nationalrat interessiert sich für das Thema

19. Juni 2009

Bern (sda) Das Chaos in der deutschen Rechtschreibung beschäftigt das Parlament. Die Nationalratskommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur (WBK) will sich des Themas annehmen, wie die Parlamentsdienste am Freitag mitteilten.

Ab 1. August dieses Jahres sollten die Neuerungen in der deutschen Rechtschreibung in den Schweizer Schulen „notenwirksam“ werden. Die Debatte und die Widerstände halten aber an. Die WBK wird sich deshalb mit der Problematik befassen „und gegebenenfalls auch mit anderen Beteiligten an der politischen Diskussion teilnehmen“.

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Schweizer Fachjournalisten unterstützen SOK-Resolution

16. Juni 2009

In einem Brief vom 16. Juni 2009 an den Generalsekretär der EDK, Hans Ambühl, unterstützt der Verband der Schweizer Fachjournalisten die Resolution der SOK für ein Moratorium in der Rechtschreibfrage.

Die Widersprüche des Regelwerks und der Reformen hätten auch für Fachzeitschriften und Fachjournalisten zu Problemen geführt. Deshalb müssten alle herkömmlichen Schreibweisen ohne Unterschied anerkannt sein, ohne Bevorzugung einer Reform-Schreibweise, schreibt der Verband SFJ.

Unterschrieben ist der Brief vom Präsidenten des Verbands SFJ, Martin Stadelmann.

SOK fordert Rechtschreibmoratorium

4. Juni 2009

Die Schweizer Orthographische Konferenz (SOK) ruft die politisch Verantwortlichen in Bund und Kantonen auf, die Rechtschreibreform am 1. August 2009 in den Schulen nicht notenwirksam werden zu lassen. Am 31. Juli 2009 geht die dreijährige Übergangsfrist, während der die herkömmlichen Schreibungen noch toleriert wurden, zu Ende.

In einer an der Frühlingstagung vom 4. Juni 2009 in Zürich einstimmig gutgeheissenen Resolution fordert die SOK ein Moratorium für Schule und Verwaltung. Das amtliche Regelwerk von 2006 und die Lehrmittel seien widersprüchlich und mit Fehlern behaftet. Alle herkömmlichen Schreibungen müssten wieder anerkannt und auf die Bevorzugung von Reformschreibungen müsse verzichtet werden.

Die Unzufriedenheit mit dem mittlerweile dritten amtlichen Regelwerk sei in den vergangenen Jahren stetig gewachsen. Der Rat für deutsche Rechtschreibung packe die anstehenden Verbesserungen nicht zügig genug an. Zeitungen, Verlage und Verwaltungen gäben sich Hausorthographien mit ganz unterschiedlichen Schreibweisen. 2008 haben die Chefredaktorenkonferenz und der Verband Schweizer Presse beschlossen, sich die Empfehlungen der SOK (www.sok.ch) zu eigen zu machen. Die SOK sei bereit, bei einer Überarbeitung des Regelwerks 2006 für schweizerische Bedürfnisse mitzuwirken.

An der Tagung nahmen neben Sprachwissenschaftern u. a. Chefredaktoren und Chefkorrektoren, Verleger, Lektoren und Schriftsteller, National-, Kantons- und Gemeinderäte, Mitglieder des Rats für deutsche Rechtschreibung sowie Gäste aus Deutschland und Österreich teil.

Prof. Rudolf Wachter (Universitäten Basel und Lausanne) wies in seinem Referat nach, wie die Rechtschreibreform langfristige Entwicklungstendenzen in der Gross-/Klein- und der Zusammen-/Getrenntschreibung mutwillig ignoriert oder sogar umzukehren versucht hat.

Gymnasiallehrer Stirnemann zeigte anhand von Wörterbüchern und Beispielen aus der Literatur, dass den Reformern auch einfachste Sachverhalte entgangen sind. Deswegen steht die neue Rechtschreibung bis heute im Widerspruch zur Sprachwirklichkeit.

In einem Podium unter der Leitung von Kantonsrätin Eva Nietlispach (SG) führte Nationalrätin Kathy Riklin aus, dass ihr 2004 eingereichtes und vom Bundesrat zustimmend beantwortetes Postulat – die Möglichkeit der Bedeutungsdifferenzierung in der Zusammen- und Getrenntschreibung wieder einzuführen – nicht wunschgemäss umgesetzt worden sei. Die Autoren Gisela Widmer und Jürg Amann erzählten von den Schwierigkeiten, die die Variantenflut und die Unsicherheit selbst bei Lektoren und Korrektoren bei der Arbeit mit verschiedenen Verlagen mit sich bringt. Alt Chefredaktor Gottlieb F. Höpli vom St. Galler Tagblatt und Suzann-Viola Renninger von den Schweizer Monatsheften berichteten von den guten Erfahrungen bei der Umstellung ihrer Medien auf die SOK-Rechtschreibung. Peter Müller von der SDA schliesslich kündigte eine Rechtschreibhilfe nach SOK-Empfehlungen für Textverarbeitungsprogramme an.

In der SOK sind Vertreter der Presse, der Literatur und der Sprachwissenschaft vereinigt. Sie haben sich zum Ziel gesetzt, die Sprachrichtigkeit und Einheitlichkeit der Rechtschreibung in Presse und Literatur zu fördern.

bereinigte Teilnehmerliste

Meldung SDA (erschien in verschiedenen Zeitungen und Online-Portalen)
Bericht NZZ
Bericht St. Galler Tagblatt
Beitrag Schweizer Radio DRS (Text / Ton 2,1 MB)
Beitrag Radio Central (Ton 4,1 MB)
Bericht Stolz-Verlag
Bericht Walliser Bote