plazieren und numerieren

7. Mai 2007

Ich bin vielen Reformschreibungen gegenüber ablehnend eingestellt, mit Platzierung und Nummerierung hätte ich mich aus Gründen der Einfachheit (vgl. Platz, Nummer) aber anfreunden können.

Dr. D.

 

Sehr geehrter Herr Dr. D.,

der Ausgang -ieren bei einem Verbum ist im Deutschen ein klares Signal, dass es sich um ein Lehnwort handelt. Die meisten sind neueren Datums und stammen oft aus dem Französischen (dort meist -er), oft aus einer anderen romanischen Sprache, oft auch direkt aus dem Lateinischen. Es ist also falsch, so zu tun, also ob plazieren von Platz, numerieren von Nummer abgeleitet wäre, die beiden Verben sind vielmehr direkt aus den romanischsprachigen Verben (frz. placer; ital./lat. numerare, frz. énumérer) entlehnt und leicht eingedeutscht worden. Die betreffenden Substantive dagegen sind völlig unabhängig vom jeweiligen Verbum – und zudem viele Jahrhunderte früher – ins Deutsche hereingekommen und haben deshalb inzwischen ein „deutscheres“ Gewand erhalten.

Neben diesen sprachgeschichtlichen Umständen (die im Sprachunterbewusstsein gerade von Leuten, die viel lesen, übrigens viel präsenter sind, als man annehmen möchte) haben uns in diesen beiden Fällen – wie noch in vielen weiteren Lehnwörtern – auch Erwägungen geleitet, die mit „Rücksicht auf unsere anderen Landessprachen“ umschrieben werden könnten. Ein Französisch- oder Italienischsprachiger wird einem deutschen Verbum auf -ieren, das seine Herkunft aus dem Romanischen plötzlich ableugnet und so tut, als ob es von einem längst eingedeutschten Substantiv abgeleitet sei, mit Unverständnis begegnen. Aus denselben Überlegungen haben wir unseren Ticinesi auch die „Spagetti“ nicht zumuten wollen, die mit -dsch- einfach nicht mehr recht al dente sind.

Und schliesslich kann man sich bei plazieren und numerieren auch auf den Standpunkt stellen, dass es doch eigentlich unsinnig war, gut 100 Millionen Menschen per Dekret in diesen Wörtern einen Buchstaben mehr schreiben zu lassen, wo doch einer weniger keinerlei Unklarheit produziert hatte.

Rudolf  Wachter, SOK

Tagung vom 12. Oktober 2006

Auf ihrer zweiten Tagung vom 12. Oktober 2006 präsentierte die SOK Empfehlungen mit Wörterlisten, wo die reformierte Rechtschreibung nicht verwendet werden sollte: Fremdwörter (Communiqué), ä-Schreibungen (Stengel), falsche Herleitungen (Quentchen), Ableitungen von Personennamen und geographische Ableitungen (Ohmsches Gesetz, sanktgallisch), Einzelfälle (rauh).

Stellungnahme Prof. Dr. Horst Haider Munske
Pressemitteilung SOK
Meldung SDA

Tagung vom 1. Juni 2006

Auf ihrer ersten Tagung vom 1. Juni 2006 empfahl die SOK Presse und Literatur, den Grundsatz „Bei Varianten die herkömmliche“ einzuhalten. Als Varianten gelten dabei nur unterschiedliche Schreibweisen mit gleicher Bedeutung wie etwa Graphik/Grafik, jedoch nicht solche mit Bedeutungsunterschied wie wohl durchdacht / wohldurchdacht.

Referat Prof. Dr. Dr. Rudolf Wachter, Universitäten Basel und Lausanne
Referat Prof. Dr. Horst Haider Munske, Erlangen
Referat Peter Müller, SDA
Referat Stefan Stirnemann, Sprachkreis Deutsch
Memorandum der Schweizer Orthographischen Konferenz

Bilder

Pressemitteilung SOK
Meldung SDA
Bericht Mittelland-Zeitung
Bericht Frankfurter Allgemeine

aufwendig

19. Juli 2005

Dass Sie sich so sehr über das Wort aufwändig aufhalten, kann ich nicht ganz verstehen. Man kann doch in guten Treuen hier aufwendig wie aufwändig vernünftig finden.

M. T.

 

Sehr geehrter Herr T.,

manche der reformierten Schreibweisen sind Symbole, handliche Beweise dafür, dass „man“ fortschrittlich ist. In Deutschland erfüllt diese Funktion die „neue“, in Wirklichkeit alte Heysesche s-Regel. In fast jedem Text kommt das Wort dass (herkömmlich: daß) vor; mit der Schreibweise dass kann der Schreiber leicht und rasch signalisieren, dass er fortschrittlich und der Text in reformierter Schreibweise gehalten ist (oder besser vorgibt, gehalten zu sein, denn sehr häufig hapert es mit den übrigen reformierten Schreibweisen im gleichen Text).

In der Schweiz erfüllt diese Funktion ganz offensichtlich das Wörtchen aufwändig. Was ist dagegen einzuwenden?

Im 19. Jahrhundert gab es in vielen Fällen noch schwankende Schreibweisen für e/ä: die Ältern/Eltern, ämsig/emsig, Ärmel/Ermel u. a. 1901 hat man die Schreibweisen festgelegt, darunter auch aufwendig. Ausschlaggebend war wohl der überwiegende Sprachgebrauch, aber auch die auf der Hand liegende sogenannte Reihenbildung mit auswendig, notwendig usw.

Niemand hat sich seither daran gestört, alle schrieben ganz selbstverständlich die festgelegten Schreibweisen. Dann kamen die Reformer, genauer gesagt der Reformer Augst, und pickten sich willkürlich und mit abenteuerlichen Begründungen einige Wörter heraus und änderten sie auf ä: Stängel, Gämse, Quäntchen, einbläuen, behände, belämmert u. a. Es ist überliefert, dass sich die anderen Mitglieder der damaligen Zwischenstaatlichen Kommission hinter Augsts Rücken lustig über diese Volksetymologie machten.

Bei aufwendig hatten sie immerhin noch genügend Bedenken und liessen beide Formen gelten – von Anfang an, nicht wie bei anderen, erst im Jahre 2000 (aufsehenerregend) oder 2004 (darunterfallen, sogenannt) wieder eingeführten Formen: aufwendig (von aufwenden) / aufwändig (von Aufwand).

Dagegen sind mindestens vier schwerwiegende Gründe anzuführen, deren jeder einzelne genügen müsste, bei der herkömmlichen Schreibweise aufwendig zu bleiben:

  1. aufwendig ist genauso von aufwenden abgeleitet wie wendig von wenden. Das Verb ist die Hauptwortart. aufwendig ist 100 bis 200 Jahre älter als Aufwand. Dieses ist im 18. Jh. als Kurzform von Aufwendung gebildet worden, es handelt sich um eine Wortfamilie mit dem Stamm wenden, belegt seit dem 16. Jh. (aufwenden, abwenden, einwenden, entwenden, anwenden, verwenden, zuwenden usw.). (Duden Band 7, 2001) Man sollte aufwendig deshalb nicht künstlich von Aufwand ableiten.
  2. Man sollte nicht ohne sehr wichtigen Grund vertraute Wortbilder verändern. Einen solchen wichtigen Grund gibt es hier keinesfalls, die Schreibweise aufwendig war vor der Reform vollständig akzeptiert und passt in die Reihe notwendig, auswendig usw.
  3. Die auf ä veränderten Formen sind völlig willkürlich herausgepickt. Wäre man konsequent, müsste man auch belägt (von Belag), dänken (von Gedanken), die Ädlen (von Adel), Spängler (von Spange), käntern (von Kante), mässen (von Mass), sätzen (von Satz), frässen (von Frass), Kräbs (von krabbeln) und Dutzende, wenn nicht Hunderte weiterer Wörter verändern (oder die ä-Form ebenfalls zulassen), darunter natürlich auch Aufwändungen und aufwänden.
  4. aufwändig führt zu falschen Analogiebildungen wie Aufwändungen, auswändig, inwändig, notwändig (findet sich bereits zuhauf im Web mit Hilfe von Google): „Dies bei Aufwändungen von rund 4,360 Millionen Franken.“ (BZ vom 7.7.2005)

Peter Müller, SOK