Maul- und Klauenseuche oder Maul-und-Klauen-Seuche?

28. April 2015

Es geht um durchkoppeln oder nicht. Beispiele:

Maul- und Klauenseuche
Reise- und Kulturjournalistin
Kindes- und Erwachsenenschutz
Kinder- und Jugendarbeit
Tier- und Pflanzenwelt
Alters- und Pflegeheim
Kinder- und Jugendchor
Wirtschafts- und Patentanwalt

u. ä.

Solche und ähnliche Gebilde würde ich eher durchkoppeln, wo es nicht eindeutig um zwei verschiedene Dinge geht. Es ist ja nur ein einziger Anwalt für Wirtschaft und Patent(recht), das ergibt eher Durchkopplung: Wirtschafts-und-Patent-Anwalt.
Ich bin sehr gespannt, wie Sie das handhaben würden.
U. K.

 

Sehr geehrte Frau K.,

in solchen Fällen hilft die folgende Probe: Gibt es das eine Bestimmungswort nicht ohne das andere (oder bilden sie zumindest untereinander eine enge Einheit)? Dann Durchkopplung. Ist es ein Sowohl-Als-auch? Dann Normalschreibung.

Es gibt eine Reihe von Fällen, die gemäss dieser Probe sofort klar sind (zu beachten, dass die Begriffe auch in einem Wort geschrieben werden können, wenn sie übersichtlich sind, Beispiel Tagundnachtgleiche):

Auf-und-ab-Gehen
Blut-Schweiss-und-Tränen-Rede
Ex-und-hopp-Flasche
Feld-Wald-und-Wiesen-Programm
Frage-und-Antwort-Spiel
Hero-und-Leander-Sage
Katz-und-Maus-Spiel
Mantel-und-Degen-Film
Matsch-und-Schnee-Reifen (M-und-S-Reifen)
Max-und-Moritz-Spiel
Mutter-und-Kind-Parkplätze
Nacht-und-Nebel-Aktion
Peter-und-Pauls-Tag (-Kirche)
Pfeffer-und-Salz-Muster
Ritter-und-Räuber-Roman
Schutz-und-Trutz-Bündnis
Sturm-und-Drang-Zeit
Tag-und-Nacht-Gleiche
usw.

Für alle gilt: es gibt das eine nicht ohne das andere (bzw. die Bestimmungswörter bilden eine enge Einheit). Es gibt keine Taggleiche für sich allein genommen, kein Maxspiel für sich allein genommen, keine Mutterparkplätze für sich allein genommen usw.

(Das Grundwort muss übrigens deshalb abgekoppelt werden, weil die Beziehung zwischen Bestimmungs- und Grundwort nicht enger sein darf als zwischen den Bestimmungswörtern, deshalb nicht: *Tag-und-Nachtgleiche.)

Durchkopplungen in Eigennamen sind natürlich ebenfalls zu akzeptieren, wie

Arbeiter-und-Bauern-Fakultät (in der ehemaligen DDR)
Arbeiter-und-Bauern-Staat (Quasi-Eigenname für die ehemalige DDR)

Durchgekoppelt kann weiter werden, um das Missverständnis zu vermeiden, es handle sich um zwei Begriffe. Dazu gehören:

Berg-und-Tal-Fahrt (gemeint ist nicht eine Fahrt hoch und eine herunter, gemeint ist eine Fahrt über diverse Berge und Täler; also nicht wie etwa Hin- und Herflug)
Goethe-und-Schiller-Denkmal
Gewinn-und-Verlust-Rechnung
(Duden; Ickler: auch Gewinn- und Verlustrechnung)
Start-und-Lande-Bahn

Mit solchen Durchkopplungen sollte man allerdings zurückhaltend sein, weil sie zu ungewohnten und unschönen Wortbildern führen.

Reise- und Kulturjournalistin, Wirtschafts- und Patentanwalt, Kindes- und Erwachsenenschutz, Kinder- und Jugendarbeit (-Chor), Tier- und Pflanzenwelt und Alters- und Pflegeheim sollte man deshalb nicht durchkoppeln. Es droht kein Missverständnis, und die Bestimmungswörter bilden unter sich keine enge Einheit. Die Reise- und Kulturjournalistin ist sowohl Reisejournalistin als auch Kulturjournalistin, beides auch für sich allein genommen. Der Wirtschafts- und Patentanwalt ist gleichzeitig sowohl Wirtschaftsanwalt als auch Patentanwalt, es ist sowohl Kindesschutz als auch Erwachsenenschutz, Tierwelt als auch Pflanzenwelt, Altersheim als auch Pflegeheim, jeweils beides auch für sich allein genommen. Eher könnte man für die Durchkopplung bei Buss-und-Bet-Tag argumentieren, aber auch hier droht kein Missverständnis, deshalb die Schreibung Buss- und Bettag.

Möchte man immer mit der Schreibung klarstellen, dass es sich nur um einen Begriff handelt, müssten Dutzende, wenn nicht Hunderte von solchen Begriffen durchgekoppelt werden:

Industrie- und Handelskammer (es ist nur eine Kammer, analog die folgenden)
Kultur- und Kongresszentrum Luzern
Alters- und Hinterlassenenversicherung
Radio- und Fernsehgesellschaft
Dolmetscher- und Übersetzervereinigung
Blinden- und Sehbehindertenverband
Mieterinnen- und Mieterverband

Spar- und Leihkasse
Wach- und Schliessgesellschaft

usw. usw.

In vielen Fällen zeigt schon das Binde-s des ersten Bestimmungswortes, dass dies nicht gangbar wäre:

Betreibungs- und Konkursamt
Gesundheits- und Umweltdepartement
Berufs- und Weiterbildungszentrum

Und damit zur Maul- und Klauenseuche. Duden hat Maul- und Klauenseuche in der 10. Auflage 1929 aufgenommen und es seither immer so verzeichnet. Auch der Ost-Duden hat es so, ebenso Wahrig und Ickler. Das ist vertretbar, weil kein Missverständnis droht. Wie aber steht es mit der engen Beziehung der Bestimmungswörter? Der Begriff wird weit überwiegend kombiniert gebraucht, es existiert dazu auch eine fachsprachliche Abkürzung: MKS. Für Maulseuche und Klauenseuche gibt es nur vereinzelte Fundstellen. Wir empfehlen trotzdem Maul- und Klauenseuche, würden aber, wegen dieser offensichtlich engen Beziehung der Bestimmungswörter, auch die Schreibung Maul-und-Klauen-Seuche nicht als falsch bezeichnen.

Peter Müller, SOK

Tagung vom 7. November 2014

Ihre neunte Tagung, unter dem Titel «Sprache der Zeit ‒ Sprache der Zeitung», führte die SOK am 7. November 2014 beim St. Galler Tagblatt in St. Gallen-Winkeln durch. Begrüsst wurden die Teilnehmer vom neugewählten Kopräsidenten Urs Breitenstein.

In zwei Referaten wiesen Prof. Rudolf Wachter und Stefan Stirnemann wiederum auf die verbleibenden, durch die Reform hervorgerufenen Probleme der Rechtschreibung hin, namentlich bei der Gross- und Klein- sowie der Zusammen- und Getrenntschreibung.

Regelfall und Ausnahme: Warum die Rechtschreibreform in ihren wesentlichsten Punkten gescheitert ist, Referat von Prof. Dr. Rudolf Wachter

In einer vom NZZ-Autor Jürg Dedial moderierten Podiumsdiskussion mit Philipp Landmark, Chefredaktor St. Galler Tagblatt, Hanspeter Lebrument, Verleger Somedia AG und Präsident des Verbandes Schweizer Medien, Peter Müller, Verwaltungsratssekretär der SDA, sowie Eva Nietlispach, Medienausbildnerin, Moderatorin, Partnerin Konsens 46, Ort für Mediation, zeigte sich insbesondere die wichtige Rolle der Schulen bei der Bildung von sprachlicher Qualität. Hanspeter Lebrument sagte, er wolle sich im Verband für eine einheitliche Rechtschreibung der Schweizer Zeitungen im Sinne der SOK einsetzen.

Wie die unterschiedlichen Bedürfnisse der Schule (beim Einstieg zum Schreiben) sowie der Medien und der Literatur (bei der Erleichterung des Lesens) unter einen Hut gebracht werden können, soll zusammen mit der EDK untersucht werden.

Die Tagung verabschiedete zum Schluss die folgenden Beschlüsse:

1) Die Kopräsidenten der SOK nehmen das Gespräch mit der EDK auf. Ziel: Die Empfehlungen der SOK gelten in den Schweizer Schulen als richtig.

2) Die Kopräsidenten und der Vertreter des Verbandes der Schweizer Medien (VSM) im Rechtschreibrat laden zur nächsten Tagung den Vorsitzenden des Rates, seinen Stellvertreter und die Geschäftsführerin ein. Ziel: Der Rat für Rechtschreibung diskutiert und übernimmt die Empfehlungen der SOK.

3) Die Kopräsidenten laden die Schweizer Rechtschreibräte zur nächsten Sitzung der SOK-Arbeitsgruppe ein. Ziel: Gemeinsame Lagebeurteilung.

4) Die Kopräsidenten setzen zusammen mit dem Präsidenten VSM und dem Vorstand der Chefredaktoren eine Arbeitsgruppe ein. Ziel: Vereinheitlichung der Rechtschreibung der Schweizer Presse.

5) Die SOK greift das Thema geschlechtergerechte Sprache nicht auf (sie hat sich dazu bereits 2007 einmal geäussert, siehe Fragen und Antworten).

Bericht in der Ostschweiz am Sonntag
Meldung der Schweizerischen Depeschenagentur

das oder die Val Müstair, der oder die Place de la Bastille?

10. Februar 2013

Heisst es eigentlich die Place de la Bastille (wie la place im Französischen) oder der Place de la Bastille (wie der Platz im Deutschen)?

B. M.

8. August 2014

Wir haben in unserer Redaktion eine Meinungsverschiedenheit, ob es das Val Müstair heisst oder eben doch die Val Müstair entsprechend dem Geschlecht im Lateinischen (vallis).

C. D.

 

Sehr geehrter Herr M., Herr D.,

die Frage, ob bei fremdsprachigen Wörtern, die ein anderes Genus als die deutsche Übersetzung haben, das deutsche oder das fremdsprachige Genus gewählt werden soll, ist eigentlich keine Frage der Orthographie; trotzdem die folgenden Anmerkungen.

Es gibt keine feste Regel. Die einzige einigermassen gesicherte Unterregel ist, dass das deutschsprachige Genus verwendet wird, wenn es das Ableitungssuffix des fremdsprachigen Wortes auch im Deutschen gibt: die partage (fr. le partage), eine endettement (fr. un endettement) usw., wie bei den Fremdwörtern: die Garage (fr. le garage, wie Blamage, Passage usw.), das Placement (fr. le placement, wie Regiment, Rendement usw.), das Duett (it. il duetto, wie Tablett, Amulett usw.), die Zigarre (fr. le cigar, wie Gitarre und zahlreiche Wörter auf -e) usw. Für aus dem Englischen ins Deutsche übernommene Wörter auf -ing wird aufgrund des Partizips I das sächliche Genus verwendet: Happening, Leasing, Aquaplaning, bei Wörtern auf -er das männliche: Computer, Plotter, Streamer wie der Arbeiter, der Rechner usw.

Sonst wird, ohne dass eine Systematik ersichtlich wäre, das Genus der Übersetzung ins Deutsche oder das Genus des fremdsprachigen Wortes verwendet. Wo beide Formen geläufig sind, besteht in der deutschen Schweiz bei Wörtern aus lateinischen Sprachen eine stärkere Tendenz zur Verwendung des fremdsprachigen Genus als in Deutschland: die Place de la Bastille, die Gare du Nord, der Groupe Mutuel, der Banco di Gottardo, der Movimiento Nacional, die Piazza San Marco, der Ponte Vecchio statt der Place de la Bastille, der Gare du Nord, die Groupe Mutuel, die Banco di Gottardo, die Movimiento Nacional, der Piazza San Marco, die Ponte Vecchio. Die SOK empfiehlt in diesen Fällen, das fremdsprachige Genus zu verwenden. In anderen Fällen ist der Gebrauch des fremdsprachigen Genus nicht üblich, z. B. der Val de Travers.

Ein besonderer Fall ist Val. Im Rätoromanischen ist Val weiblich (wie lat. vallis), im Französischen dagegen männlich. Im Bündnerland überwiegt die Verwendung des fremdsprachigen Genus eindeutig, in der übrigen Deutschschweiz dagegen ebenso eindeutig  das deutsche Genus; die SOK empfiehlt, diesen regionalen Usus zu beachten: die Val Müstair (auch bei französischen Namen: die Val de Travers) in Graubünden, das Val Müstair (auch bei französischen Namen: das Val de Travers) in der übrigen Deutschschweiz. Die Verwendung des männlichen Genus bei französischen Namen mit Val ist gänzlich unüblich: nicht: der Val de Travers. In den anderen Formen für Tal empfiehlt die SOK, das fremdsprachige Genus für Namen aus lateinischen Sprachen zu verwenden: die Vallée de Joux (franz.), die Valle Leventina (ital.), der Valle de Olivos (span.), der Vale do Lobo (port.).

Peter Müller, SOK

Urs Breitenstein zum Kopräsidenten gewählt

Urs Breitenstein7. November 2014

Die Arbeitsgruppe der SOK hat an ihrer Sitzung vom 7. November 2014 das Gründungsmitglied Urs Breitenstein einstimmig zum neuen Kopräsidenten und Nachfolger des verstorbenen Peter Zbinden gewählt.

Urs Breitenstein wurde 1942 im aargauischen Freiamt geboren und besuchte die Klosterschule in Einsiedeln und die Kantonsschule in Aarau. Er promovierte nach dem Studium in Basel und Tübingen in griechischer Philologie mit Latein und vergleichender Sprachwissenschaft an der Universität Basel. Er arbeitete danach bis Ende 2007 im Verlag Schwabe Basel, zunächst als wissenschaftlicher Lektor, dann als Verlagsleiter, ab 1996 als Verleger.

Ende 2006 wurde ihm von der Universität Bern der Doktortitel ehrenhalber für die verlegerische Förderung der Geisteswissenschaften und den Einsatz um eine Buch- und Lesekultur im In- und Ausland verliehen.

Urs war neben vielen weiteren kulturellen Engagements Präsident des Schweizerischen Buchhändler- und Verleger-Verbandes. Heute ist er Präsident der nach dem Stifter der Universität Basel, Aeneas Silvius Piccolomini, benannten, auf die 500-Jahr-Feier der Universität Basel von 1960 zurückgehenden Aeneas-Silvius-Stiftung.

Die SOK ist glücklich, mit Urs Breitenstein auf einen herausragenden Förderer des Buches und des Lesens als Kopräsidenten zählen zu können.

Filippo Leutenegger, Kopräsident