am Lesen oder am lesen?

9. Februar 2014

In einem Leserkommentar schrieb einer, der in Amerika lebt: …als ich am lesen war…

Da ich viel auf englisch lese und an der Flut der Grossbuchstaben keinen Gefallen finde, fand ich „am lesen“ ganz in Ordnung, ja sogar besser. Bleibt doch eine Tätigkeit eine Tätigkeit, egal ob am lesen oder beim lesen, wieso soll das ein Substantiv werden? Genau wie die SOK ja empfiehlt: im allgemeinen oder als nächstes.

Was meinen Sie dazu?

F. W.

 

Sehr geehrte Frau W.,

es geht um die Frage, wann ein Infinitiv als substantiviert gelten soll. Die Rechtschreibreform hat an der entsprechenden Regelung nichts geändert, auch nicht bei den Fällen am/beim/im + Infinitiv + sein. Die Grossschreibung bei am Lesen sein gehört also nicht zu der von ihr ausgelösten Flut der Grossbuchstaben.

Eine Substantivierung liegt zweifellos vor, wenn dem Infinitiv ein Artikel oder Adjektiv vorangeht:

  • das Lesen fördert das richtige Schreiben; Ursache des Unfalls war plötzliches Versagen der Bremsen

Vermutlich gehen Sie auch noch mit der Regelung einig, dass bei am/beim/im/zum + Infinitiv (aber ohne sein) und bei Präposition + Infinitiv eine Substantivierung vorliegt:

  • beim Lügen ertappt; im Vorbeigehen erledigt; auf Biegen oder Brechen; es ist zum Davonlaufen

Ebenso bei Infinitiven, von denen ein Attribut im Genitiv oder mit von abhängt:

  • Lackieren der Türe; Aufsetzen von verschiedenen Anwendungen

Fraglich ist hingegen, ob bei Infinitiven ohne Artikel oder nähere Bestimmung eine Substantivierung vorliegt; deshalb erlaubt die Regelung hier sowohl Gross- wie Kleinschreibung:

  • Geben/geben ist seliger als Nehmen/nehmen; sie lernt Rechnen/rechnen

Dabei gelten Infinitive, die direkt von einem Modalverb abhängen, aber nicht als substantiviert:

  • er will Geschenke einpacken; sie muss rechnen lernen

Wo sollen nun die Fälle am/beim/im + Infinitiv + sein eingereiht werden (die sogenannte Verlaufsform, die einen Vorgang oder Zustand ohne zeitliche Begrenzung erscheinen lässt)? Die Regelung, sowohl vor wie nach der Rechtschreibreform, zählt sie zu den substantivierten Infinitiven, also Grossschreibung. Das hätte man auch anders sehen können, als Grenzfälle wie bei den Infinitiven ohne Artikel oder nähere Bestimmung, also Freigabe der Schreibung. Das bedeutete aber eine unerwünschte Komplizierung der Regeln (in Kombination mit sein Freigabe, ohne sein Grossschreibung). Auch eine weitere Zunahme der Varianten (die andere, von der Rechtschreibreform hervorgerufene Flut) ist nicht erwünscht. Wir sind daher mit der Regelung einverstanden.

Übrigens gilt die Form am + Infinitiv (noch) nicht als standardsprachlich; sie gehört mehr der gesprochenen Sprache an. Das mag der Grund dafür sein, dass die Tendenz zur Kleinschreibung in diesem Fall besonders gross ist:

  • als ich am *lesen war

Es gilt aber als falsch. Und eine Spezialregelung für diesen Fall ist aus den gleichen, bereits erwähnten Gründen (keine unnötige Komplizierung der Regeln, keine weiteren Varianten) unerwünscht.

(Hauptquelle: Duden Bd. 9, Richtiges und gutes Deutsch, 7. Aufl., Mannheim 2011, ISBN 978-3-411-04097-1)

Peter Müller, SOK

in Weiss oder in weiss?

13. Januar 2014

Können Sie mir sagen, ob man im folgenden Zusammenhang das Wort weiss gross oder klein schreibt?

  • Farbtupfer in Weiss oder
  • Farbtupfer in weiss

T. R.

 

Sehr geehrte Frau R.,

die Farbe («das Weiss») schreibt man gross, also Farbtupfer in Weiss (in der Farbe «Weiss»).

In Fügungen wie die Farbe des Kleides ist weiss/Weiss ist sowohl Klein- wie Grossschreibung richtig:

  • die Farbe des Kleides ist Weiss: ist was? die Farbe «Weiss»
  • die Farbe des Kleides ist weiss: ist wie? «weiss» (Adjektiv)

Peter Müller, SOK

Trennung Lecke-reien oder Lecker-eien?

13. Dezember 2013

Wie trennt man „Leckereien“? Lecke-reien oder Lecker-eien? Es kommt doch eigentlich von „lecker“ = fein (z. B. das Essen).

E. W.

 

Sehr geehrter Herr W.,

die Trennung nach Bestandteilen gilt sowohl in herkömmlicher wie in reformierter Rechtschreibung nur für zusammengesetzte Wörter und Wörter mit Vorsilben (siehe Duden K 167 und amtliches Regelwerk § 108), nicht für Endsilben. Die richtige Trennung lautet demnach: Lecke-reien.

Peter Müller, SOK

Anführungszeichen in Zitaten

25. November 2013

Ich habe einen Text, ein Zitat und eine Frage:

Wenn nun in einem Lehrbuch zur Veranschaulichung ein Text zitiert werden soll, der der alten deutschen Rechtschreibung folgt – das Werk ist von 1982 –, soll dann das ß in ß und die Chevrons in Guillemets umgewandelt werden? Im Originaltext habe ich eine direkte Rede in doppelten Chevrons, die ich im Zitat in einfache Chevrons setzen muss. Die direkte Rede befindet sich am Ende des Textes, sodass ich also mit einem einfachen Chevron schließe und das Zitat mit doppelten Guillemets beende.

Ich bin sehr für wörtliches Zitieren, finde aber, dass gerade der Richtungswechsel der An- und Abführungszeichen im Druckbild einfach hässlich aussieht. Was ist höher zu werten: die buchstabengenaue Wiedergabe oder die Ästhetik?

Gibt es dazu eine Richtlinie?

A.-K. L.

 

Sehr geehrte Frau L.,

Zitate müssen wortgetreu sein, eine typographische Übereinstimmung wird in aller Regel aber nicht verlangt.

Zur Typographie gehören Schriftart und -größe, die Art der Hervorhebung (nicht aber die Hervorhebung selbst) und auch die Art der Anführungszeichen (siehe z. B. bei Wikipedia). Ein Zitat kann also in einer vom Original abweichenden Schriftart stehen (z. B. Antiqua statt Fraktur), mit einer vom Original abweichenden Hervorhebungsart (z. B. kursiv statt gesperrt, die gängige Hervorhebung in Frakturschrift), und darin befindliche Anführungszeichen können an die im umgebenden Text verwendeten angepasst werden (z. B. Guillemets «» statt Chevrons »« oder Guillemets/Chevrons statt Gänsefüßchen „“). Dass die Anführungszeichen zu dieser Kategorie gehören, geht schon daraus hervor, dass doppelte Anführungszeichen des Originals im Zitat in einfache gewandelt werden müssen, da das Zitat selbst mit doppelten angeführt und geschlossen wird (d. h. sie entsprechen ohnehin nicht dem Original, siehe § 95 der amtlichen Regeln). Mit dieser einfachen Regel löst sich auch der von Ihnen beschriebene Fall; gestützt darauf, können Sie für die direkte Rede im Zitat die in der Schweiz üblichen einfachen Guillemets statt der in Deutschland gebräuchlichen Chevrons verwenden:

Heuer führt als Beispiel an: «Er sagte: ‹Ich wußte es.›»

Es gibt unterschiedliche Auffassungen dazu, ob Anführungszeichen mit einem anderen Typ von halben Anführungszeichen kombiniert werden können (z. B. »… ‚…‘ …« oder „… ›…‹ …“). Dafür spricht der klarere Kontrast vor allem dort, wo Anführungszeichen und halbe Anführungszeichen aufeinandertreffen (z. B. »›…‹« oder „‚…‘“ gegenüber »‚…‘« oder „›…‹“), dagegen spricht das weniger einheitliche Schriftbild (Wikipedia).

Denkbar ist auch, beim Wechsel zu einer anderen Art der Anführungszeichen für die zweite Ebene entgegen der amtlichen Regelung doppelte Anführungszeichen zu verwenden, da auch so die weitere Ebene ersichtlich ist:

Heuer führt als Beispiel an: «Er sagte: „Ich wußte es.“»

Guillemets («») und Chevrons (»«) bzw. deutsche („“) und englische Anführungszeichen (“”) sollten jedoch nicht gemischt werden, weil dies zu verwirrenden oder, wie Sie richtigerweise anführen, zumindest unästhetischen Kombinationen führen würde, wenn die Zeichen aufeinandertreffen. Das zeigt auch das von Ihnen beschriebene Beispiel eines aus Deutschland stammenden Zitats in einem Schweizer Text:

*Heuer führt als Beispiel an: «Er sagte: ›Ich wußte es.‹»

Im Zusammenhang mit Anführungszeichen in Zitaten gibt es weitere Fragen. Ist eine dritte oder vierte Ebene notwendig, wird zu der jeweils anderen Art der Anführungszeichen gewechselt (von Gänsefüßchen zu Guillemets/Chevrons oder umgekehrt), wobei wieder mit doppelten Zeichen begonnen wird und erst für eine vierte Ebene einfache verwendet werden, also (mit Schweizer Guillemets):

«Erste ‹zweite „dritte ‚vierte Ebene‘ Ebene“ Ebene› Ebene.»

Statt leicht mit Komma und Apostroph zu verwechselnder einfacher deutscher Gänsefüßchen werden manchmal auch englische Anführungszeichen verwendet, wobei die Mischung deutscher und englischer Gänsefüßchen in Kauf genommen wird wie im folgenden Beispiel (aus Wikipedia):

„Nach einer langen, detaillierten Analyse des gesetzwidrigen Handelns Putins […] zieht Grischkewitsch den Schluss: »Auf der Grundlage des oben Dargelegten bitte ich das Verfassungsgericht der Russischen Föderation […] um eine offizielle Bewertung der genannten Umstände der Verabschiedung und Unterzeichnung des Föderalen Gesetzes ›Zur Einarbeitung von Veränderungen und Ergänzungen in das Föderale Gesetz “Zu den allgemeinen Prinzipien der Organisation von legislativen (repräsentativen) und exekutiven Organen der Staatsmacht der Subjekte der Russischen Föderation”‹ […].« Die Reaktion des Gerichts – null.“ (Anna Politkowskaja: Russisches Tagebuch)

Für fremdsprachige Zitate, die ihrerseits Anführungen enthalten, werden für diese (jedoch nicht für die Anführung des Zitats selbst) oft die in der jeweiligen Sprache üblichen Anführungszeichen verlangt:

Smith sagt: «This is a so-called “No-go”.»

Im Französischen sogar mit erweiterten Abständen nach und vor dem Zeichen:

Dupont sagt: „C’est dénoté comme « farfelu »”.

Dies widerspricht allerdings dem obenerwähnten Prinzip, dass die Form der Anführungszeichen lediglich typographische Bedeutung hat und Anführungszeichen im Zitat deshalb an den umgebenden Text angepasst werden können. Es führt in manchen Fällen auch zu der unerwünschten Mischung von Chevrons und Guillemets: bei Verwendung von Chevrons mit französischen (und Schweizer) Zitaten, bei Verwendung von Gänsefüßchen mit englischen Zitaten.

Neben diesen Fällen mit Anführungszeichen gibt es einige andere, in denen die Zitiervorschriften nicht überall identisch sind:

  • In der Regel darf das Zitat nicht an die reformierte Rechtschreibung angepasst werden (z. B. in Wikipedia), hingegen wird eine Anpassung an die ß-lose Schreibung in der Schweiz gewöhnlich akzeptiert (ist jedoch nicht zu empfehlen)
  • Allgemein akzeptiert wird auch der Ersatz des in der Frakturschrift üblichen Lang-s (ſ) durch ein Rund-s in Antiquaschrift.
  • Unterschiedlich gehandhabt wird sodann, ob eindeutige banale Rechtschreibfehler korrigiert werden dürfen (z. B. Budnesrat statt Bundesrat) oder ob mit [sic!] darauf hingewiesen werden soll.
  • Wird die Rechtschreibung angepasst oder werden Fehler korrigiert, muss darauf hingewiesen werden (vor oder nach dem Zitat oder in eckigen Klammern im Zitat selbst).

Einige weitere Veränderungen sind erlaubt, wenn sie durch eckige Klammern und wo nötig durch die Nennung des zitierenden Autors gekennzeichnet werden (aus den Zitierregeln der Universität Düsseldorf):

  • Hervorhebungen durch den Zitierenden [Hervorhebungen von XY]
  • Auslassungen […]
  • den grammatischen Fall zu verändern oder Wörter zu verschieben, um das Zitat in einen eigenen Satz zu integrieren
  • wenn nötig Wörter auszutauschen oder (z. B. als Erklärung) hinzuzufügen [Wort, XY]

Zitierregeln werden gewöhnlich von jeder Universität selbständig aufgestellt. Dabei kann es Unterschiede von Universität zu Universität geben. Ästhetische Aspekte spielen ebenfalls eine Rolle, wobei nicht generell gesagt werden kann, sie seien höher oder niedriger zu bewerten als die buchstabengetreue Wiedergabe. Ein häufig erwähntes Lehrbuch zum Thema ist Klaus Poenicke: Wie verfasst man wissenschaftliche Arbeiten? Ein Leitfaden vom ersten Studiensemester bis zur Promotion. 2., neubearb. Auflage. (Duden-Taschenbücher Bd. 21.) Dudenverlag, Mannheim u. a. 1988.

Peter Müller, SOK