Wladimir oder Vladimir Putin?

Wladimir26. Juni 2013

Bei meiner Arbeit als Korrektor bin ich auf folgendes Problem gestossen:

In der Werbekampagne einer Schweizer Sonntagszeitung kam der Name Vladimir Putin in der Headline vor. Als zuständiger Korrektor korrigierte ich das auf Wladimir Putin, gemäss Duden und Wikipedia. Der zuständigen Werbeagentur passte das aber nicht, sie beharrte auf der Schreibweise Vladimir, mit dem Hinweis, dass es auch im Englischen und Französischen so geschrieben werde. Das ist natürlich kein gültiges Argument. Die Inserate wurden folglich mit der falschen Schreibweise Vladimir publiziert, womit die Agentur ihre sprachliche Inkompetenz unter Beweis stellte.

Mich interessiert nun der Grund dafür, dass die deutsche Sprache bei der Transkription von slawischen Eigen- und Ortsnamen aus dem V ein W macht, während im Englischen, in den romanischen und vielen anderen Sprachen V V bleibt. Ich vermute phonetische Gründe, möchte das aber genauer wissen.

D = Wladimir, Wladiwostok usw.

E, F, I, SP, Port. usw. = Vladimir, Vladivostok usw.

Besten Dank für die Beantwortung meiner Frage.

A. A.

 

Sehr geehrter Herr A.,

eine Empfehlung zu Transkriptionen befindet sich noch in der Pendenzenliste der SOK. Trotzdem die folgenden Bemerkungen.

Mit Ihrer Vermutung phonetischer Gründe für die Unterschiede bei der Transkription in Deutsch und Englisch liegen Sie zweifellos richtig.

Bei der Transkription werden die Buchstaben eines Ausgangsalphabets in diejenigen eines anderen Alphabets einer Zielsprache gemäss deren Ausspracheregeln übertragen. Das soll einem Sprecher der Zielsprache ermöglichen, ein Wort möglichst genau wie in der Ausgangssprache auszusprechen.

Bei der einfachen Transkription nur mit Hilfe der in der Zielsprache vorhandenen Zeichen ist dies natürlich nur eingeschränkt möglich. Um zu genaueren Resultaten zu gelangen, ist der Einsatz von diakritischen Zeichen wie in der phonetischen Umschrift notwendig.

Von der Transkription ist die Transliteration zu unterscheiden, bei der jedem Buchstaben des Ausgangsalphabets ein Zeichen des Zielalphabets zugeordnet wird. Hat das Ausgangsalphabet mehr Zeichen als das Zielalphabet, sind diakritische Zeichen notwendig. Transliterationen sind, im Gegensatz zu Transkriptionen, rückübertragbar. Sie sind nur bei alphabetischen Schriften möglich.

Der Fall von Wladimir Putin scheint klar zu sein. Das russische Вв wird etwa wie deutsch w ausgesprochen oder wie englisch v. Deutsch würde v eher wie f ausgesprochen (wie in vier). Daher die deutsche Transkription Wladimir und die englische Vladimir.

Aber damit ist das Problem noch nicht vollständig umschrieben.

Zum einen besteht die Tendenz, Buchstaben, die sich in beiden Alphabeten entsprechen, unverändert zu lassen, selbst wenn sie unterschiedlich ausgesprochen werden.

Sodann werden fremdalphabetische Namen im Pass des Inhabers üblicherweise ins Englische (teilweise noch ins Französische) transkribiert. Im Pass von Putin steht also Vladimir Putin. Damit wird diese Schreibweise sozusagen amtlich.

Das führt beispielsweise dazu, dass ein fremdalphabetischer Name im Zivilstandsregister eines deutschsprachigen Landes gemäss der englischen Transkription eingetragen wird. (Bei einer Einbürgerung kann der Name dann eingedeutscht werden.)

Eine Rolle spielt auch die Übermacht des Englischen. So sieht der Zuschauer bei Sportveranstaltungen fremdalphabetische Namen in englischer Transkription und nimmt diese als die „richtige“ Schreibweise wahr.

Eine Frage ist ferner, wie im Ausland eingebürgerte oder auch nur lebende Träger fremdalphabetischer Namen im Deutschen geschrieben werden sollen. Ein bekannter Fall ist Strawinski, der erst in Frankreich, dann in den USA eingebürgert wurde. Die französische Transkription ist Stravinski, die englische Stravinsky, im Deutschen liest man häufig die Mischform Strawinsky, richtig wäre hier Strawinski. Ähnlich Rachmaninow, der zeitweise in Deutschland gelebt hatte, kurz vor seinem Tod US-Bürger wurde, aber zeit seines Lebens weder Rachmaninow noch Rakhmaninov, sondern Rachmaninoff als Umschrift seines Namens benutzte.

Eine Empfehlung der SOK gibt es dazu noch nicht. Zu erwarten ist, dass mindestens für nicht ausgewanderte Träger fremdalphabetischer Namen die deutsche Transkription empfohlen wird, also Wladimir Putin.

Peter Müller, SOK

Konjunktiv in der indirekten Rede

16. Juni 2013

Prinzipiell ist der Konj. I die Form der Wahl der indirekten Rede. Konj. II nur dort, wo ersterer mit dem Indikativ zusammenfiele. Kann der Konj. II darüber hinaus auch dort verwendet werden, wo eine Ferne zum Ausdruck gebracht werden soll? Sowohl in Fällen, wo sich Aussagen später als falsch herausgestellt haben sollten, als auch dort, wo ein früherer Stand wiedergegeben wird? Konj. I, der ja in Nachrichtensendungen selbstverständlich ist, suggeriert, dass etwas aktuell so wäre/sei.

E. E.


Sehr geehrter Herr E.,

was den Unterschied in den Zeiten betrifft, ist Richard Schrodt sehr klar (in: Grammatik der Gegenwartssprache, wo er Ernest Götze/Hess-Lüttich zitiert): „Konjunktiv I und Konjunktiv II unterscheiden sich nicht in zeitlicher Hinsicht: man komme und man käme sind im Hinblick auf die Zeitstufe identisch.” Gut belegt ist hingegen Ihre zweite mögliche Begründung für den Konjunktiv II: dass mit diesem eine Distanz zur Aussage ausgedrückt werden könne, z. B. wenn sich „Aussagen später als falsch herausgestellt haben”. Dies ist in der Tat eine der „Schulen” des Konjunktivs in der indirekten Rede. Es lassen sich, soweit ich sehe, drei unterscheiden:

  1. Konjunktiv I und II sind (auch hochsprachlich, umgangssprachlich oder mundartlich sowieso) austauschbar
  2. der Konjunktiv II in indirekter Rede (wo eine eindeutige Form des Konjunktivs I zur Verfügung steht) drückt eine „Distanz” aus
  3. der Konjunktiv II in indirekter Rede ist (wo eine eindeutige Form des Konjunktivs I zur Verfügung steht) hochsprachlich „falsch”

Vertreter der Schule 1 waren z. B. noch Gustav Wustmann und Hermann Paul. Sie gilt als überholt.

Vertreter der Schule 2 ist z. B. Richard Schrodt (Grammatik der Gegenwartssprache, s. o.): „In den anderen Personalformen wird Konjunktiv II anstelle von Konjunktiv I (der ja formal anders ist als der Indikativ Präsens) benutzt, um die Distanz/Skepsis des Sprechers/Schreibers gegenüber dem Inhalt der Aussage zu verdeutlichen (Klaus sagte, du wärest gesund).” (Ähnlich auch Gerhard Schoebe in Wikipedia, sodann Gerhard Helbig/Joachim Buscha.) Diese Ansicht ist jedoch umstritten. Es funktioniert schon deshalb nicht, weil die Verwechslung von Konjunktiv I und II einer der häufigsten Fehler bei der indirekten Rede ist und weil in den Fällen, in denen keine eindeutige Form des Konjunktivs I zur Verfügung steht, auch bei Nichtdistanzierung ja auf den Konjunktiv II ausgewichen werden muss. Die Anwendung des Konjunktivs im Deutschen ist viel zu unstabil, als dass er eine solche Funktion wirklich übernehmen könnte. Der Leser versteht damit eben gerade nicht, was gemeint ist. Wer sich vom Inhalt der Aussage distanzieren will, muss eine andere Formulierung wählen, der Konjunktiv II hilft ihm dafür nicht. Dass Duden, Bd. 9, den entsprechenden, noch in der 5. Auflage (2001) stehenden Passus unter „Konjunktiv”

Der Konjunktiv II kann gebraucht werden […] 3. als Ausdruck des Zweifels, der Skepsis gegenüber einer berichteten Aussage […]

für die 6. (2007) und späteren Auflagen entfernt hat, ist ein Hinweis darauf, dass auch diese Schule überholt ist. Ab 6. Auflage steht dort nur noch:

Der Konjunktiv II kann gebraucht werden […] 3. abweichend von der Grundregel anstelle eindeutiger Konjunktiv-I-Formen

mit Hinweis auf den Abschnitt indirekte Rede und dort:

Die wenigen eindeutigen Formen des Konjunktivs II werden dagegen sehr häufig gebraucht. Außerhalb von Nachrichten und wissenschaftlichen Texten geschieht das auch dort, wo nach der Grundregel eindeutige Formen des Konjunktivs I zu erwarten gewesen wären: Sie hat gesagt, sie hätte (besser: habe) keine Zeit, weil sie zu beschäftigt wäre (besser: sei), und sie könnte (besser: könne) deshalb morgen nicht mitfahren.

Zum Beispiel wird gäbe gerne fälschlicherweise anstelle von gebe benutzt; Duden, Bd. 9:

Bei starken Verben, die im Konjunktiv I ein e (gebe) und im Konjunktiv II ein ä (gäbe) haben, wird wegen dieser Lautähnlichkeit oft der deutlicher erkennbare Konjunktiv II mit offenem [e] gewählt. Zur Kennzeichnung der indirekten Rede wird jedoch auch hier der Konjunktiv I verwendet, sofern er eindeutig ist: Sie hat beteuert, dass sie nicht nachgebe (nicht: nachgäbe).

Damit bleibt nur noch Schule 3, die im Duden, Bd. 9, ab der 6. Auflage abgebildet ist.

Kurz: Die Meinung, mit dem Konjunktiv II (gäbe/wäre) lasse sich in der indirekten Rede eine Distanz zur Aussage ausdrücken, wenn eine eindeutige Form des Konjunktivs I zur Verfügung steht (gebe/sei), ist überholt. Heute gilt: In der indirekten Rede wird der Konjunktiv I verwendet, wenn dessen Formen eindeutig sind.

Peter Müller, SOK

Velosolex: welches Genus?

velosolex25. März 2013

Auch wenn man das Fahrgerät kaum mehr sieht, gibt es noch Leute wie mich, die ab und zu das Wort verwenden.
Ich hatte es als „männlich“ in Erinnerung bin aber jetzt auf eine sächliche Verwendung im TA online von heute gestossen.

Bin ansonsten kein Fan Ihrer Grundeinstellung „bei zwei zulässigen Schreibweisen sei die alte vorzuziehen“, aber da das Geschlecht damit wenig zu tun hat (ausser bei eingedeutschten Fremdwörtern wie etwa „Beach“) und zugleich weder im Duden (online) noch bei Ihnen oder Canoonet das Wort vorkommt, möchte ich Ihren Vorschlag kennen.

D. R.

 

Sehr geehrter Herr R.,

dies ist keine Frage zur Rechtschreibung; die SOK ist daher nicht zuständig. Trotzdem die folgenden Überlegungen dazu:

Velosoléx ist ein Markenname (laut franz. Wikipedia als VéloSoleX eingetragen); als solcher hat er/sie/es kein gefestigtes Geschlecht.

In Frage komme alle drei Genera, je nachdem, mit welcher Vorstellung man das Wort verbindet.

Für männlich spricht:

Das Genus in der Originalsprache: le Velosoléx (wie in dieser Geschichte aus dem gleichen Tages-Anzeiger, aus dem Ihre Fundstelle mit sächlichem Genus stammt).

Für weiblich spricht:

Die Analogie zu Motorrädern. Im Gegensatz zu Autos (der BMW) verwendet man bei Motorrädern das weibliche Genus (die BMW). Vermutlich steht dahinter die Vorstellung die Maschine (wie auf dieser Fan-Website).

Für sächlich spricht:

Die Nähe zum Wort das Veloziped (schweiz. das Velo). Wikipedia hat sich für das sächliche Genus entschieden.

Wie ungefestigt das Genus bei diesem Wort ist, illustriert diese Website, in der sächlich/weiblich bunt gemischt auftreten. Ich war selbst vor langer Zeit stolzer Besitzer eines Vélosolex und hätte im Dialekt niemals das Vélosolex oder die Vélosolex gesagt, sondern immer nur der Solex. Falls das auf das Genus der Originalsprache zurückgeht, um so besser; ich sage und schreibe auch konsequent der Banco di Gottardo und die Place de la Concorde.

Gegenfrage: Was haben Sie gegen unseren Grundsatz „Bei Varianten die herkömmliche“? Er ist in seiner Effizienz unschlagbar, wenn es darum geht, mit möglichst wenig Aufwand eine Hausorthographie zu definieren (und genau darum geht es wegen der Vielzahl der aus der Rechtschreibreform hervorgegangenen neuen Varianten), und erübrigt die Erstellung langer Wörterlisten.

Peter Müller, SOK

Cashflow und Kosten-Ertrags-Verhältnis

20. Februar 2013

Wie schreiben wir in der Schweiz (auf Deutsch) Aneinanderreihungen von englischen Wortgruppen wie z. B.:

  • Free Cash Flow
  • Cost Income Ratio
  • und Deutsch: Kosten-Ertrags-Verhältnis?

K. E.

 

Sehr geehrte Frau E.,

eine verzwickte Frage, jedenfalls was die englischen Fügungen betrifft! Es geht um die Grossschreibung, um die Zusammenschreibung von Cash Flow und um die Schreibung von Cost Income.

Die Grossschreibung ist unbestritten. Einerseits weil die englische Orthographie (nach der sich nicht integrierte englische Fremdwörter richten) die Grossschreibung „wichtiger“ Wörter ungeachtet ihrer Wortart erlaubt1, die Grossschreibung also anders als im Deutschen praktisch eine Form der Auszeichnung und nicht der Kennzeichnung der Nomen ist. Anderseits weil im Deutschen neu Nomen in solchen Fügungen grundsätzlich gross geschrieben und gekuppelt (oder bereits zusammengeschrieben) werden (Fund-Raising, auch Fundraising), wie auch Adjektive, wenn sie das erste Wort der Fügung sind (Free Float, auch Freefloat) ‒ übrigens eine der nicht gerade zahlreichen Verbesserungen der Reform.

Die Knacknuss ist Cash Flow. Die deutsche Rechtschreibung sieht dafür nur noch Cashflow vor (früher: Cash-flow). Im Englischen wird weit überwiegend Cash Flow geschrieben, vereinzelt kommt aber auch schon Cashflow vor.

Zu empfehlen ist demnach: Free Cash Flow (englische Orthographie für nicht integrierte Fremdwörter).

Aber auch Free Cashflow kann natürlich nicht als falsch bezeichnet werden. Es hätte den Vorteil, dass die Schreibweise mit einem isoliert (ohne Free) im Text vorkommenden, nach deutscher Orthographie geschriebenen Cashflow identisch wäre.

Etwas einfacher ist der Fall *Cost Income Ratio. Im Englischen werden mehrteilige Bestimmungswörter gekuppelt (five-year plan, five-year ist Bestimmungs-, plan Grundwort, ebenso price-earnings ratio). Entsprechend ist zu empfehlen: Cost-Income Ratio (wiederum: englische Orthographie für nicht integrierte Fremdwörter).

Wollte man den Begriff als integriertes Fremdwort nach deutscher Orthographie behandeln, hiesse die Lösung: Cost-Income-Ratio.

Und ganz klar ist der Fall Kosten-Ertrags-Verhältnis. Im Deutschen werden solche Fügungen mit mehrteiligen Bestimmungswörtern durchgekuppelt. Es ist darauf zu achten, dass die Verbindung des zweiten Teils des Bestimmungsworts zum Grundwort nicht enger ist als jene zwischen den Teilen des Bestimmungsworts. Deshalb wäre (trotz des Binde-s) *Kosten-Ertragsverhältnis falsch (genauso falsch übrigens wie *Von Werdt-Passage).

1 Im Englischen hängt die Grossschreibung vom Umfeld des Wortes ab. In Titeln z. B. werden „wichtige“ Wörter gross geschrieben, ungeachtet ihrer Wortart. Für die Definition von „wichtig“ gibt es unterschiedliche Interpretationen, v. a. was die Wortart Präposition angeht. Auch innerhalb des Textes können wichtige Wörte gross geschrieben werden, z. B. solche, die für den Inhalt des Textes besonders wichtig sind.

Ich hoffe, diese zwangsläufig nicht ganz eindeutigen Antworten helfen Ihnen weiter.

Peter Müller, SOK