«Innenleben» und Rechtschreibung

Unter der Leitung des Obmanns Dr. Erwin Leiggener fand im Restaurant La Poste die Jahresversammlung des Rottenbundes statt. Neben den Vereinstraktanden stand ein Vortrag des Philologen Stefan Stirnemann, St. Gallen, auf dem Programm.

Rottenbund-Vortrag. Referent Stefan Stirnemann (links) übergibt Rottenbund-Obmann Dr. Erwin Leiggener ein nach den Empfehlungen der Schweizer Orthographischen Konferenz gedrucktes Exemplar des renommierten «Schweizer Monats».

Rottenbund-Vortrag. Referent Stefan Stirnemann übergibt Rottenbund-Obmann Dr. Erwin Leiggener ein nach den Empfehlungen der Schweizer Orthographischen Konferenz gedrucktes Exemplar des renommierten «Schweizer Monats».

Das Vereinsjahr 2012 war durch die Aufnahme neuer Mitglieder und durch Vorträge gekennzeichnet. Es sprachen Hubert Theler, Lyriker und Dozent, und Dr. phil. Bernard Truffer, kantonaler wissenschaftlicher Berater des Historischen Lexikons der Schweiz (HLS). Beide bearbeiteten Themen, die für das Oberwallis wichtig sind: Theler die Verwendung unserer Mundart bei der Übersetzung des so bedeutenden Bibel-Textes und Dr. Truffer die Berücksichtigung des Wallis im wichtigsten Nachschlagewerk zur Geschichte und Biografie der Schweiz. Der traditionelle Kulturausflug des Rottenbundes musste abgesagt werden. Im Berichtsjahr erhielt der Rottenbund ein neues Logo. Es zeigt die 13 Bezirkssterne in Rot/Weiss in einem grossen Stern «Der Rottenbund» und «Für Sprache und Kultur». Unterstützt wurde der Schreibwettbewerb des Kollegiums Brig. Im neuen Vereinsjahr wird u. a. der Kulturausflug in neuer Organisationsform durchgeführt, und Obmann Leiggener erhofft sich markante Beteiligung. Ferner würdigte der Obmann die verschiedenen kulturellen Leistungen der Rottenbund-Mitglieder.

Rechtschreibreform und Staatsräson
Referent Stefan Stirnemann, profunder Kenner der Geschichte und des gegenwärtigen Standes der Rechtschreibreform, studierte Philologie in Basel mit einem Schwerpunkt auf der deutschen und lateinischen Schulgrammatik des 19. Jahrhunderts, war Mitarbeiter an einem grossen lateinischen Wörterbuch in München und arbeitet heute als Kantonsschullehrer. Neben vielfältiger publizistischer Tätigkeit ist er Mitglied der Arbeitsgruppe der Schweizer Orthographischen Konferenz (SOK). In letzterer Eigenschaft trat er vor dem Rottenbund auf und stellte in einem interaktiven Vortrag einer aufmerksamen und zunehmend betroffenen Hörerschaft die Vorgeschichte und Geschichte der Rechtschreibreform dar. Stirnemann zeigte, dass unüberlegte und schroffe Eingriffe z. B. in die Grossund Kleinschreibung und die Getrenntund Zusammenschreibung einen langwierigen Prozess in Gang brachten, der zu grosser Unsicherheit im Schulwesen und zu riesigen Ausgaben der Verlage führte. Immer neue Wörterbuch-Ausgaben widerriefen das, was ein Jahr vorher noch galt, bis im Jahr 2006 der Rat für Rechtschreibung kurzerhand althergebrachte und neudefinierte Schreibweisen als gültige Varianten erklärte. Heute soll also ein «wohlbekannter» Schriftsteller dasselbe sein wie ein «wohl bekannter» Schriftsteller. Gemäss Ministerin Johanna Wanka, die einst Präsidentin der deutschen Kultusministerkonferenz war, wissen die Kultusminister, dass diese Reform ein Fehler war, aus Staatsräson habe man sie nicht zurückgenommen. Heute ist Wanka Bundesministerin für Bildung und Forschung und somit Nachfolgerin der unglücklichen Annette Schavan, die ihr Amt aufgeben musste, weil ihr die Universität Düsseldorf wegen Betrugs den Doktortitel entzog. Seit wann, fragte Stirnemann, ist die Schweiz solchen Staatsvertretern und ihrer Staatsräson verpflichtet? Die Schweizer Orthographische Konferenz arbeitet seit mehreren Jahren daran, die zahllosen Fehler dieser Reform zu beheben. Es geht ihr dabei um Sprachrichtigkeit und Einheitlichkeit. Die «SOK-Empfehlungen» können über die Internetadresse www.sok.ch eingesehen werden. Sie finden auch in Deutschland zunehmend Beachtung, z. B. beim grossen ReclamVerlag. In der Schweiz folgen immer mehr Medien der SOK; als Beispiele brachte Stirnemann neue Hefte von «NZZ Folio» und «Schweizer Monat» nach Visp. Der ausserordentlich gut dokumentierte Vortrag Stefan Stirnemanns zeigte auf, dass die Lage besorgniserregend ist und nicht so bleiben kann. Ob es gelingen wird, bei Presse und Literatur und in der Schule Ordnung und Sprachrichtigkeit wiederherzustellen, wird sich zeigen. Zu wünschen wäre es!

Walliser Bote
Dienstag, 12. März 2013

das oder die E-Mail?

email4. Februar 2013

Welche Schreibweise empfehlen Sie, „das E-Mail“ oder „die E-Mail“?

K. E.

 

Sehr geehrte Frau E.,

dies betrifft eigentlich keine Rechtschreibfrage, weshalb die SOK keine Empfehlung abgibt.

Dennoch folgender Kommentar:

In der Schweiz ist das E-Mail gebräuchlich, in Deutschland die E-Mail (in Süddeutschland beides). Das gleiche gilt für SMS.

Es handelt sich also um eine schweizerische Besonderheit wie etwa das Kader (statt der Kader), das Tram (statt die Tram), der Radio (statt das Radio), der Final (statt das Finale).

Schweizerische Besonderheiten gibt es vor allem im Vokabular (Beispiele aus der A-Strecke): Absenz, Abwesenheit, allfällig, alsbald, alsdann, Ambiance, Anlehre, ansonst[en], Anstösser, aper, Apéro, Attikawohnung, äufnen, Aufrichte, ausserorts, Ausstand, avisieren. Weitere bekannte Beispiele sind Redaktor (statt Redakteur), Perron (statt Bahnsteig), bei Eindeutschungen Communiqué (statt Kommuniqué oder Kommunikee), beim Binde-s Zugsmitte (statt Zugmitte).

Texte aus der Schweiz unterscheiden sich ausserdem gewöhnlich durch das Fehlen des ß, die Verwendung des Apostrophs statt des Punktes als Tausendertrennzeichen (10’000) sowie von „Guillemets“ statt „Gänsefüsschen“.

In Texten, die sich ausschliesslich oder weit überwiegend an Schweizer Empfänger richten, ist die Berücksichtigung dieser Besonderheiten angebracht.

Peter Müller, SOK

A1 oder A 1?

stau8. September 2011

Im Wegweiser der SOK „zu einer einheitlichen und sprachrichtigen
deutschen Rechtschreibung“ (1. Auflage, 2010) lese ich unter
Punkt 4.c, dritter Absatz: „Zahlen und Buchstaben tun einander
nicht weh.“

Aus diesem Grund empfiehlt die SOK, auf den Bindestrich zwischen Zahlen und Buchstaben zu verzichten und zusammenzuschreiben.

Ich erinnere mich aber noch an einen Lehrspruch meines Volontariats: Steht nach einem Buchstaben, der (als Abkürzung) für ein Wort steht, eine Zahl, so ist (bei Drittelsatz) ein Viertelgeviert (♦) Abstand zu halten – bei Viertelsatz ein Achtelgeviert.

Beispiele:

  • Die Abfahrt von der A♦1 (A = Autobahn).
  • Die Baustelle auf der B♦75 (B = Bundesstraße).

Zwischen Buchstabe und Zahl steht aber immer dann ein Bindestrich, wenn durchgekuppelt werden muss:

  • Die A-1-Abfahrt, die B-75-Baustelle

und nicht:

  • Die A♦1-Abfahrt, die B♦75-Baustelle

Also zwischen Buchstabe und Zahl ein Bindestrich.

Sollte diese Regel noch immer stimmen, wäre wohl zu überlegen, sie als Ergänzung in den „Wegweiser“ aufzunehmen. Siehe auch das „Vademecum“ der NZZ (9. Auflage, Seite 20, „Autobahn“).

F. W. K., Deutschland

 

Sehr geehrter Herr K.,

die Empfehlung im Wegweiser betrifft nur Fälle, in denen Ziffern und Buchstaben ‒ in dieser Reihenfolge ‒ zusammen ein Wort bilden.

Die SOK äußert sich nicht zu typographischen Fragen wie der Anwendung des geschützten Leerzeichens (im Satz des Viertelgevierts). A 1 und B 75 können, wie Sie schreiben und wie das NZZ-Vademecum es vorsieht, mit einem Viertelgeviert geschrieben werden, was zwingend die Durchkupplung in Zusammensetzungen nach sich zieht. Die beispielsweise bei U21 übliche Zusammenschreibung kann aber nicht als falsch gelten.

Der Wegweiser ist ein Konzentrat der SOK-Empfehlungen und muß sich deshalb sehr kurz fassen. Wir werden aber überlegen, ob es mit einer kleinen redaktionellen Änderung möglich ist, die von Ihnen erwähnten Fälle auszuschließen oder miteinzubeziehen.

Peter Müller, SOK

 

Herzlichen Dank für Ihre Antwort, über die ich etwas länger nachdenken musste.

Es geht um Ihr Beispiel der Schreibweise von U21, von der Sie sagen, dass diese Form auch nicht falsch sei. Ich vermute, dass Sie beim U von U21 die Abkürzung für das Wort unter und dass Sie mit U21 die Bezeichnung Unter 21 meinen. In der ausgeschriebenen Form steht zwischen U und 21 ein (geschützter) Wortzwischenraum. Warum sollte der entfallen, wenn das Wort Unter als U abgekürzt geschrieben wird? Dann wären ja beide Schreibweisen des Kuppelwortes die „U21-Mannschaft“ und die „U-21-Mannschaft“ richtig.

Hat man damit nicht eine Varianten-Schreibung geschaffen, die die SOK doch eigentlich vermeiden möchte und die auch im NZZ-Vademecum nicht vorgesehen ist?

Das Beispiel mit der Autobahn-Nummer taucht im Vademecum von 1990 (4. Auflage) noch nicht auf. Somit fällt es wohl schwer zu entscheiden, welches die herkömmliche Schreibweise sein könnte.

Ich füge ein anderes Beispiel ein, das Wort „Rock and Roll“ bzw. gekürzt „Rock ’n’ Roll“.
Die Wortzwischenräume bleiben trotz der beiden Apostrophe bestehen, was zum Kuppelwort „Rock-’n’-Roll-Konzert“ führt, nicht aber zum „Rock’n’Roll-Konzert“.

F. W. K.

 

Sehr geehrter Herr K.,

es ist doch gerade das Wesen von Abkürzungen, daß die Zwischenräume entfallen:

DW, CDU, SDA usw.

Warum sollte das anders sein, wenn eine Ziffer in der Abkürzung steht?

Hier geht es aber eigentlich um Eigennamen, und da steht es m. E. dem Inhaber frei, die Schreibweise festzulegen:

Audi A6, Maserati A 6, A-6 Intruder (US-Militärflugzeug) [Quelle Wikipedia]

Wenn die NZZ A 4 für die Autobahn schreibt, um es von der DIN-Norm A4 abzugrenzen, zeigt das, wieviel sie von der Unterscheidungsschreibung hält. Das zuständige Bundesamt ASTRA schreibt nämlich A4.

Die UEFA schreibt U21, der SFV U-21! Da muß sich halt dann jede Zeitung für eine Schreibweise entscheiden.

Der Zwischenraum entfällt natürlich nicht, wenn mit Punkten abgekürzt wird:

d. h., u. A. w. g. usw.

und selbstverständlich auch nicht, wenn Auslassungszeichen die Auslassung anzeigen:

Rock ’n’ Roll

Insgesamt halte ich dies, wie gesagt, für keine orthographische Frage und damit auch nicht für etwas, was die SOK regeln müßte. Die SOK wird sich auf die weiterhin bestehenden Unsinnigkeiten der „neuen“ Rechtschreibung wie heute Abend, im Voraus usw. konzentrieren.

Peter Müller, SOK

 

Ich danke Ihnen für Ihre Aufklärung. Unter dem Aspekt der Eigennamen habe ich die Schreibweisen von „U21“ und anderen Kürzungen bisher noch nicht gesehen. Ihren Beispielen in der Reihe von „Audi A6“ ließe sich noch der „Airbus A380“ hinzufügen.

Mein Spezialgebiet als ehemaliger CvD einer deutschen Tageszeitung ist die sog. Orthotypographie – die faszinierende Welt zwischen den Wörtern. Auf die korrekte
Verwendung der verschiedenen Striche, der Abstände und der Hilfs- und Wortzeichen wird leider zu wenig geachtet. Das könnte doch auch für die SOK einmal ein Thema sein: Wer die Schriften der Satztechnik verwendet, muss auch die Regeln der Satztechnik einhalten. Die DIN 5008 verbreitet leider nur Murks.

Sehen Sie doch mal auf der Startseite des Rats für Rechtschreibung, wie falsch dort am Kopf die deutschen Anführungszeichen gesetzt sind.

F. W. K.