Rechtschreibung wird Gerechtschreibung: Über die wohltuende Einfachheit der Initiative «Tschüss Genderstern»

Stefan Stirnemann
Die Weltwoche, 12. November 2024

Rechtschreibung wird Gerechtschreibung. Am auffälligsten unter den neuen Zeichen und Wortformen ist der sogenannte Genderstern.
Er heisst falsch. Der Genderstern ist kein freundlicher Himmelskörper, sondern eine kleine Schraube, mit welcher besorgte Menschen ihre Botschaften der Gerechtigkeit am Wolkenkuckucksheim festschrauben. Sie halten das dünnwandige Gehäuse, das irgendwo im Luftigen schwebt, für das Weltgebäude und wollen es durch eine erfundene Sprache robust und stabil machen.

Die Genderschraube steht als Symbol für eine Flut von Sprachgeboten und -verboten, die von Medien, Universitäten, Unternehmen, Parteien, Ämtern und weiss der Kuckuck von wem noch verkündet und angewendet werden. Haben wir Eidgenossen nicht unsere Erfahrungen mit Leuten, die befehlen, wer wann wie zu grüssen ist, und haben wir nicht gehört, was Wilhelm Tell Herrn Gessler geantwortet hat?

Schauen wir die neue Sprache an. Bundesrat Beat Jans (SP) hat ihren Grundfehler gezeigt, als er im Dezember des letzten Jahres frisch gewählt vor die Öffentlichkeit trat, die Hände in einer Haltung der Verbundenheit und Demut dachartig über dem Kopf zusammenlegte und sagte: «Das Volk ist meine Chefin!»

Der Mann wird gewählt, die Frau wird nicht gewählt, ausbaden muss es die Sprache. Das Volk ist der Souverän, nicht die Souveränin. Mit der falschen Form zaubert der Bundesrat eine Fantasiefrau auf die Bühne und setzt sie flugs an die Spitze. Dass das Gerechtigkeit genug ist, das ist die Logik der Wolkenkuckucksheimer. Wollen die benachteiligten Gruppen gerechte Plätze in der Gesellschaft oder gerechte Wörter? Angenehmer ist es, mit Wörtern zufrieden zu sein, so erspart man sich das Kämpfen.

Gut an der Auseinandersetzung um die sogenannte gerechte Sprache ist, dass öffentlich über Pronomen und Partizipien gesprochen wird; das könnte das Sprachbewusstsein stärken. Zur Förderung der Debatte sei auf einige Sprachtatsachen hingewiesen. Tatsachen sind sie zwar nur für den, der den allgemeinen Sprachgebrauch anerkennt und nicht mit der blinden Brille des Ideologen auf das Leben schaut.

Die Begriffe der Grammatik tragen Namen, die selten genau zutreffen. Das Possessivpronomen, das besitzanzeigende Fürwort, bezeichnet keineswegs immer den Besitz: was meine Freunde, euer Kummer bedeutet, definiert nicht das ZGB. So meint auch das grammatische Geschlecht mit den Artikeln die und der keineswegs immer das biologische Geschlecht oder, mit dem Neutrum das, sein Fehlen: der Mensch, die Person, das Individuum gelten für Frauen und Männer.

Bei Wörtern kommt es immer auf den Zusammenhang an. Der Ordner dient entweder zum Abheften oder trägt eine Armbinde. Gerade Wörter mit dem der-Artikel, der als männlicher Artikel gilt, sind oft unscharf und offen für weibliche und männliche Menschen. Die Philosophin Hannah Arendt schrieb ihrem Lehrer Karl Jaspers kurz nach dem Untergang des Dritten Reiches: «Seitdem ich in Amerika bin, also seit 1941, bin ich eine Art freier Schriftsteller geworden, irgend etwas zwischen einem Historiker und einem politischen Publizisten.» Eine Frau kann so reden, ein Mann aber kann Jägerin oder Fischerin nur sein, wenn er Fasnacht feiert.

Auch die Mehrzahl ist oft nicht eindeutig: Die Bürger sind, ungenau, Männer und Frauen und werden erst genau männlich, wenn man die Bürgerinnen neben sie stellt. Ist es ein Beweis von Gerechtigkeit, wenn wir immer beide Formen nuscheln oder mechanisch in unsere Texte klopfen? Folgerichtig müsste man zu den Bürgerrechten immer noch die Bürgerinnenrechte aufrufen. Bezeichnungen wie Bäcker, Leser, Politiker sagen mit ihrer Endung -er eigentlich nur, dass da jemand etwas tut oder ist.

Dass solche Wörter in unserer Geschichte und Gegenwart eher auf Männer als auf Frauen gemünzt sind, liegt nicht an den Wörtern, sondern an unserer Geschichte und Gegenwart. Hinzu kommt, dass wir allgemeine Begriffe brauchen. «Zwei Frauen und ein Mann waren unterwegs, jeder und jede trug einen Regenschirm» – das soll gerecht sein, aber es trifft nicht zu.

Und was machen wir mit den Widerlingen? Ein Kreis von Experten, die gerade vom Halleluja-Versand neue Heiligenscheine bezogen hatten, kam neu erleuchtet zur Einsicht, alle Wörter auf -ling seien Beschimpfungen. So machten sie den Lehrling zum Lernenden, und in den Kinderwagen betten sie künftig pausbäckige Saugende. Das Partizip ist das Allheilmittel der Geschlechtergerechtigkeit. Die Leser werden zu Lesenden, die Nobelpreisträger wahrscheinlich zu Nobelpreistragenden.

Auch für die Experten drängt sich heute die gerechte Form auf: die Experimentierenden. Ich lese und höre von Forschern und denke mir, dass das Frauen und Männer sind. Muss ich das bei den Forschenden nicht auch dazudenken? Der Mehrwert der partizipialen Holper- und Stolperform: Ich kann mit ihr beweisen, dass ich ein gerechter Mensch bin.

Nun hat die Zürcher Kantonsrätin Susanne Brunner (SVP) mit hartnäckiger Energie eine Initiative zustande gebracht, die unter dem Titel «Verständliche Sprache» in wohltuender Kürze fordert: 1. Die Behörden verwenden eine klare, verständliche und lesbare Sprache. 2. Sie verzichten in behördlichen Texten auf die Verwendung von Sonderzeichen innerhalb einzelner Wörter.
Der kurze Text bringt auf den Punkt, dass es eigentlich um Stilfragen geht. Stil ist Wahl und setzt Geschmack voraus. Die gerechte Sprache mit ihren -Innen und -nden und pedantischen Doppelungen und Hieroglyphen ist keine Sprache, sondern ein Hickhack.

Wer der Initiative zustimmt, ist nicht etwa gegen Gleichberechtigung und Achtsamkeit und Respekt und wie die schönen Wörter alle lauten. Er will einfach keine Behörde, die die Sprache zerhackt und ihn anweist, was und wie er aus den Möglichkeiten unserer Sprache wählt. Er hält nichts von Lippenbekenntnissen und glaubt nicht, dass die Menschen gut behandelt sind, wenn man die Sprache schlecht behandelt.