Verband Schweizer Presse unterstützt die Empfehlungen der SOK

Montreux, 11. September 2008. Der Verband Schweizer Presse (VSP) unterstützt – wie zuvor schon die Konferenz der Chefredaktoren – die Empfehlungen der Schweizer Orthographischen Konferenz (SOK) zur Rechtschreibung in Presse und Literatur. Mit ihnen wird die von der Rechtschreibreform beeinträchtigte Einheitlichkeit und Sprachrichtigkeit der Rechtschreibung in Presse und Literatur der Schweiz wiederhergestellt.

Communiqué des VSP

Von der SOK zur DOK?

Dr. Dr. h. c. Urs Breitenstein, Basel, Gründungsmitglied der SOK, sprach am 21. August 2008 in Stuttgart an der Jahresversammlung der Forschungsgruppe Deutsche Sprache (FDS) über die Schweizer Orthographische Konferenz:

Sehr geehrte Damen und Herren

Wenn die kleine Schweiz sich mit Deutschland misst, heisst es entweder nach 90 Minuten 4:0 für Deutschland (wie in jenem Fussball-Freundschaftsspiel in Basel kurz vor der schönen Euro08) oder beim Vergleich der Bevölkerungszahl jetzt über 10:1. Dasselbe Minderwertigkeitsgefühl beschleicht uns deutschsprachige Schweizer auch, wenn wir mit deutschen Kollegen deutsch sprechen, unsere beste Schriftsprache hervorholen und dann gelobt werden für diesen niedlichen Schweizerdialekt. Aber hier, in unserem Falle, geht es um ein gemeinsames Anliegen. „Deutsch. Eine Sprache wird beschädigt“ heisst der Titel eines Buches, das Sie, die Forschungsgruppe Deutsche Sprache e.V., mit der Bayerischen Akademie der Schönen Künste vor einigen Jahren herausgegeben haben (2003). Die Sache ist, besonders nach 2006, noch nicht erledigt, nicht in Deutschland, nicht in der Schweiz. Wir sind hier wie dort weiterhin gefordert.

Im Namen der Schweizer Orthographischen Konferenz SOK darf ich Ihnen die schönsten Grüsse überbringen. Leider sind meine Kollegen, und zwar alle kompetenter als ich, zu dieser Zeit verhindert, an Ihrer Zusammenkunft teilzunehmen, obwohl wir alle Ihnen gerne Mut machen und Sie zur Weiterarbeit ermutigen möchten. „Ein Konsens in der Rechtschreibfrage ist in Sicht“, sagt Peter E. Müller, und eine „Empfehlung der Konferenz der Chefredaktoren“ ist abgegeben worden, aus beiden Texten möchte ich Ihnen kurz zitieren.

Zum Hergang: Am 24. Mai bzw. 1. Juni 2006 hat eine kleine Gruppe von an der Sprache interessierten Persönlichkeiten – Sprachwissenschaftlern und Sprachpraktikern – etwas zufällig zusammengewürfelt, aber alle mit grosser Liebe zur deutschen Sprache, unter dem Namen „Schweizer Orthographische Konferenz SOK“ in Zürich eine einfache Gesellschaft gegründet. Sie organisiert seither regelmässig Tagungen und zählt heute Mitglieder aus den verschiedensten Bereichen (für alle Einzelheiten besuche man die Website www.sok.ch).

Ziel der Gründung war, die von der Rechtschreibreform beschädigte Einheitlichkeit und Sprachrichtigkeit der Rechtschreibung in Presse und Literatur der Schweiz wiederherzustellen. Die SOK erarbeitet Empfehlungen, die sie an Tagungen zur Diskussion stellt. Der wichtigste Grundsatz wurde an der ersten Tagung am 1. Juni 2006 verabschiedet: „Bei Varianten die herkömmliche“. Es wurde eine Arbeitsgruppe der SOK gebildet aus den Gründungsmitgliedern um Peter E. Müller, Direktor der Schweiz. Depeschenagentur SDA, Stefan Stirnemann, Sprachkreis Deutsch und Gymnasiallehrer, Prof. Dr. Dr. Rudolf Wachter, Sprachwissenschaftler der Universitäten Basel und Lausanne, Peter Zbinden, Präsident des Sprachkreises Deutsch, sowie dem Sprechenden, damals Verleger des Schwabe-Verlags (Gründungsjahr 1488) und Präsident des Schweizer Buchhändler- und Verlegerverbands (bis April 2008). Zur Arbeitsgruppe dazu kam erfreulicherweise auch Stephan Dové, Chefkorrektor der NZZ und Mitglied des Rates für deutsche Rechtschreibung. Mitbegründer der Gesellschaft waren zudem der Politiker und Verleger Filippo Leutenegger (als Nationalrat Mitglied des schweizerischen Parlaments) und Robert Nef, der Mitherausgeber der „Schweizer Monatshefte“.

Die Arbeitsgruppe hat in den vergangenen zwei Jahren (in ehrenamtlicher Tätigkeit) Wörterlisten ausgearbeitet für jene Fälle, in denen die Anwendung des Grundsatzes „Bei Varianten die herkömmliche“ zu keiner Entscheidung über die Schreibweise führt. An drei weiteren Tagungen stellte die SOK Empfehlungen vor, wo die schulamtliche Rechtschreibung nicht verwendet werden sollte: Fremdwörter, ä-Schreibungen, falsche Herleitungen, Ableitungen von Personennamen und geographische Ableitungen, Einzelfälle. Auch dafür hat die Arbeitsgruppe Wörterlisten erstellt.

Die SOK steht allen Personen offen, die die Ziele und Empfehlungen der Gesellschaft unterstützen. Der Beitritt ist kostenlos. Beitrittserklärung auf www.sok.ch, wo auch alle Empfehlungen und Wörterlisten einzusehen und auszudrucken sind.

Jetzt noch ein paar Sätze aus den angeführten Texten von Peter Müller, dem Federführenden unserer Arbeitsgruppe, sowie von Stefan Stirnemann zur Lage der Schule (zu den Verlagen des SBVV: zunächst, und zwar bald, Zusammenkunft der Schulbuchverleger, Deutschland inklusive, erst dann Empfehlung an die Mitglieder):

Zitate aus:

  • Ein Konsens in der Rechtschreibfrage ist in Sicht (Beilage 1)
  • Empfehlung der Konferenz der Chefredaktoren (Beilage 2)
  • Und zur Lage der Schule (von Stefan Stirnemann) (Beilage 3)

Sie sehen:
einerseits: es ist noch viel zu tun
andererseits: es herrscht weitherum Zuversicht, packen wir’s an!

Es wäre doch schön, wenn analog zur SOK in der Schweiz eine ebenfalls kleine Gruppe von Sachverständigen in Deutschland es an die Hand nähme, sozusagen eine DOK zu bilden, und der Sprache wiederum zur Korrektheit verhelfen würde. Wir könnten dann gemeinsam etwa im Jahre 2016 – 20 Jahre nach 1996 – zurücklehnen und sagen: Die Fehler jener missglückten Orthographiereform sind beseitigt. Die 20 Jahre der Unbill der Reform waren, wie es unser Sprachwissenschaftler Prof. Ruedi Wachter einst formuliert hat, ein Hustenanfall in der Geschichte der Sprache.

Ich wünsche Ihnen und uns viel Erfolg und sage gerne: auf Wiedersehen!
 

Dr. Dr. h. c. Urs Breitenstein war 1974–2007 im Verlag Schwabe & Co. AG, Basel tätig (zunächst als wissenschaftlicher Lektor, zuletzt als Mitbesitzer, Direktor, Verlagsleiter und Verwaltungsratspräsident). Bis April 2008 war er Präsident des Schweizer Buchhändler- und Verlegerverbands. 2006 wurde ihm von der Universität Bern für die verlegerische Förderung der Geisteswissenschaften und für seinen Einsatz um eine Buch- und Lesekultur im In- und Ausland der Dr. phil. honoris causa verliehen.

Chefredaktorenkonferenz empfiehlt Umsetzung der SOK-Empfehlungen

Die Konferenz der Chefredaktoren unterstützt die Empfehlungen der Schweizer Orthographischen Konferenz, die eine konsequente Verbesserung der missglückten Reform anstreben. Auf der gleichen Linie liegt der Verband Schweizer Presse, der ein koordiniertes Vorgehen der Verlage mit der SDA befürwortet. Die Empfehlungen der SOK entsprechen grundsätzlich der langjährigen Praxis der NZZ; bereits umgesetzt haben sie ausserdem die SDA, NZZ Folio, das „St. Galler Tagblatt“, und die „Schweizer Monatshefte“.

Die Empfehlung im Wortlaut.

Stefan Stirnemann: Zur Lage der Schule

Die neue Rechtschreibung erschwert den Zugang zu den Texten. Viele Sätze sind auch nach zwei- oder dreimaligem Lesen unklar. Schuld sind vor allem die Veränderungen in den Bereichen: Getrenntschreibung (wohlbekannt), Beziehung Laut-Buchstabe (greulich), Satzzeichen (Weglassen vieler Kommas). Auch die vermehrte Grossschreibung schafft Unsicherheit, da nun Gleiches ungleich behandelt wird (von vornherein, zum Vornherein).

Die Presse hat von Anfang an nicht alles mitgemacht, schreibt also seit Reformbeginn (1996) anders als die Schule. Das gilt vor allem für die Kernbereiche der Zeichensetzung und Getrenntschreibung, aber auch für die vermehrte Grossschreibung.

1 Zeichensetzung

Peter Gallmann, führender Schweizer Reformer, hat 1997 Walter Heuers schönes Buch „Richtiges Deutsch“ auf Reform umgestellt. In diesem Buch, das in erster Linie für publizistisch Tätige gedacht ist, empfiehlt er die nichtreformierte Zeichensetzung:

„Redaktion und Korrektorat sollen auch in Zukunft von der Möglichkeit Gebrauch machen, zwischen Hauptsätzen, die mit und, oder verbunden sind, ein Komma zu setzen. Dies gilt etwa für lange Sätze und keineswegs nur für krasse Fälle wie die folgenden, die ohne Komma kaum zu lesen sind:

‚Ich fotografierte die Berge, und meine Frau lag in der Sonne.“‘ (1548)

„Die neue amtliche Regelung von 1996 gibt die Kommasetzung bei Infinitivgruppen mit zu weitgehend frei. Für die grafische Industrie, vor allem die Zeitungs- und die Zeitschriftenherstellung, wo aus Quellen unterschiedlichster Herkunft ein sprachlich sauberes und einheitliches Produkt hergestellt werden soll, dürfte diese Lösung aber wenig praktikabel sein. Wir schlagen daher eine Regelung vor, die sich am bisherigen Schreibgebrauch orientiert.“ (1567)

Der Rat für deutsche Rechtschreibung hat hier manches (wenn auch nicht alles) im Sinne des bisherigen Schreibgebrauches verbessert, aber in unseren Schulen werden diese Verbesserungen nicht weitergegeben.

Beispiel: Im neuen Handbuch für den Unterricht (2007) lehren Thomas Lindauer und Claudia Schmellentin, Mitglieder im Rat für deutsche Rechtschreibung, man könne folgendes Doppelkomma weglassen: Olga hat die Idee, schnell ein Bier zu trinken, stets behagt. Das entspricht nicht der Doktrin des Rates für deutsche Rechtschreibung.

Lindauer und Schmellentin sind Schüler und Mitarbeiter Peter Gallmanns; ihr Vorgehen zeigt, dass die Reformer unabhängig von der Lesbarkeit der Texte möglichst viel von ihrer Reform retten wollen.

2 Vermehrte Grossschreibung

Es entspricht altem Schreibgebrauch, feste Wendungen wie von neuem, seit langem, im allgemeinen klein zu schreiben. Die Reform hat in vielen (wenn auch nicht in allen) Fällen den grossen Buchstaben wiedereingeführt, der im 19. Jahrhundert üblich war. Bis 2004 war bei 14 Fällen nur der kleine Buchstabe richtig (von neuem, seit langem, ohne weiteres), seit 2004 ist auch der grosse Buchstabe möglich, und in der Schule soll nur die Grossschreibung vermittelt werden, wie es in der entsprechenden Handreichung der EDK heisst. Auch sie ist von Lindauer und Schmellentin verfasst worden. Die Schweizer Presse macht diese Grossschreibung mehrheitlich nicht mit.

3 Getrenntschreibung

Auch hier soll unsere Schule möglichst auf Reformkurs 96 gehalten werden; es soll möglichst viel getrennt werden. Im Schweizer Schülerduden, herausgegeben von Peter Gallmann und Thomas Lindauer, wird empfohlen, dass auch dort, wo der Rat für deutsche Rechtschreibung die Zusammenschreibung (als Variante) wieder möglich gemacht hat, die Getrenntschreibung vorzuziehen sei, „da sie dem Normalfall entspricht“. So hält der Schweizer Schülerduden an der 96er Trennung von wieder sehen fest, die der Duden bereits 2000 wieder aufgegeben hat.

Fazit

Es besteht seit Reformbeginn eine Kluft zwischen Schweizer Schule und Schweizer Presse. Sie ist mit dem Regelwerk des Rates für deutsche Rechtschreibung nicht kleiner geworden. Wollte man diese Kluft im Sinne der Schweizer Reformer schliessen, müsste die Presse weitgehend nach Reform 96 schreiben. Das ist undenkbar, da die Presse existenziell der Lesbarkeit und Sprachrichtigkeit verpflichtet ist.

Auch für die Schule müssen Lesbarkeit und Sprachrichtigkeit der Massstab sein. Mit den Empfehlungen der SOK ist dieser Massstab wieder gegeben. Deswegen werden sie aus der Geschäftsleitung des LCH (Votum Strittmatter) und vom grossen deutschen Schulbuch­verleger Michael Klett unterstützt.